Der Beschützer
Desinfektionsmitteln und die freudlosen Farben boten deutliche Hinweise. Hinzu kam das routinierte Verhalten der Frau.
»Bitte versuchen Sie noch nicht, sich zu bewegen.« Ihre Stimme klang angenehm, doch mit der Intonation war irgend etwas nicht in Ordnung. »Sie sind sehr krank.«
»Krank?« Er fühlte sich nicht krank, nur verwirrt. Und verunsichert. Mit den Ellenbogen stemmte er sich hoch und trachtete danach, das eisgrüne Laken beiseite zu treten, unter dem er lag. »Das muß ein Irrtum sein«, sagte er. »Ich bin nichtc «
Dann sah er die Wucherungen an Hand und Arm. Die letzten Worte verloren sich in einem gedämpften Schrei.
Was ist los mit mir? Was wuchs an ihm und warum? Er öffnete den Kragen des Krankenhemds, sah an sich herab und entdeckte weitere Schwellungen. Der Schock drohte sein Blickfeld zu verdunkeln.
Was ist los mit mir was ist los mit mir was ist los mitc?
»Nein!«
Der Schrei klang menschlich und schien laut genug zu sein, um im ganzen Universum widerzuhallen. Kim wandte sich in die entsprechende Richtung und sah, wie einer der stillen Assistenten gegen einen Tisch mit medizinischen Instrumenten stieß und ihn umkippte. Eine Gestalt sprang über den am Boden liegenden Mann hinweg; ihre Bewegungen deuteten auf eine beeindruckende Mischung aus Kraft und katzenhafter Geschmeidigkeit hin. Das lange weiße Krankenhemd störte sie offenbar überhaupt nicht.
Eine Frau.
Sie spürte Kims Aufmerksamkeit, drehte sich um und begegnete seinem Blick. Ich kenne sie, dachte der junge Fähnrich überrascht. Er erinnerte sich an das dunkle Gesicht mit den hohen Stirnwülsten. Diese Frau hatte in dem Saal auf einer der Platten gelegen. Himmel, ein Jahrhundert schien seitdem vergangen zu sein.
Ein Besatzungsmitglied des Maquis-Schiffes, vermutete er.
Und das bedeutete: Er war nicht allein hier.
Aber vielleicht sind alle anderen fort, mahnte eine innere Stimme. Vielleicht sind nur wir beide ›hier‹.
Kim bekam keine Gelegenheit, diese Überlegungen fortzusetzen. Weitere Personen trafen ein, und die Frau zögerte nicht, gegen sie zu kämpfen. Sie schaffte es fast bis zur Tür, bevor sie von mehreren Personen gepackt wurde. Jener Mann, der lächelnd auf Kim herabgesehen und mit mentaler Stimme gesprochen hatte, griff nun nach einem Apparat.
*Haltet sie fest*
Die Frau heulte wie ein Tier und wand sich hin und her. Doch es gelang ihr nicht, sich loszureißen. Der Mann – jetzt formten seine Lippen kein Lächeln – beugte sich an mehreren Assistenten vorbei. Kim hörte das charakteristische Zischen eines Injektors, und wenige Sekunden später sank die Frau bewußtlos zu Boden.
Der Mann seufzte tief und erleichtert. *Tragt sie hierher*, wies er die anderen Personen an.
Kim beobachtete, wie man die Bewußtlose mit einer Vorsicht behandelte, die ihm absurd erschien. Jetzt brachte man ihr fast Ehrfurcht entgegen, obwohl man sie eben mit allen Mitteln an der Flucht gehindert hatte. Und er sah auch noch etwas anderes: Wucherungen an Armen und Hals der Maquisard.
Hatten sie sich mit irgendeiner exotischen Krankheit infiziert?
Und war das auch mit den übrigen Besatzungsmitgliedern der Voyager und des Maquis-Schiffes passiert?
Sind wir deshalb allein? fragte sich Kim.
Wenn das stimmte, so mochte es um ihre Überlebenschancen sehr schlecht bestellt sein.
Plötzlich wünschte er sich mehr als nur das grüne Laken und das weiße Hemd. Die Gedanken an den Tod brachten eine Kühle, die Kim frösteln ließ.
10
Captains Logbuch, Sternzeit 48315.6c « Janeway betrachtete das Display des Datenblocks auf dem Tisch. In dieser späten Stunde schien es zuviel Kraft zu erfordern, nach dem Gerät zu greifen und es beiseite zu legen. Dazu wäre es erforderlich gewesen, den Kopf von der stützenden Hand zu heben und sich aufzusetzen – was nicht zu der Vereinbarung gehörte, die sie mit ihrem Körper getroffen hatte. Solange der physische Teil ihres Selbst Entspannung genießen durfte, blieb der psychische wach genug, um letzte Berichte zu formulieren, die Schadensund Verlustlisten durchzugehen und zu überlegen, welche Besatzungsmitglieder am nächsten Tag für welche Reparatur-und Instandsetzungsarbeiten eingeteilt werden sollten. Mit der freien Hand gelegentlich Tasten zu drücken – derartige Aktivität stellte keine Verletzung des mit sich selbst getroffenen Abkommens dar. Im Gegensatz zu der Entscheidung, den Rücken zu straffen oder gar aufzustehen.
Sie rieb sich die Augen und teilte ihre Aufmerksamkeit,
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