Der Besen im System
bekam meinen Canadian Club und schmeckte sofort das Leitungswasser heraus, in dieser Hinsicht bin ich sehr empfindlich.
Der Mann, der ein paar Hocker neben mir saß, war noch weiter von der Bob-Newhart-Gruppe entfernt. Er hatte ein energisches Gesicht, mit einem Kinn, das ich über mein Whiskeyglas hinweg nur in stiller Bekümmerung bewundern konnte, zumal in unrasiertem Zustand. Seine Haare waren dunkelblond und so kurz, dass sie beinahe abstanden. Seine Kiefermuskulatur arbeitete, während er Erdnüsse kaute. Er trank Bier, und um ihn herum stand ein kleiner Wald von Flaschen. Seine Augen waren hellgrün, doch von einem so weichen Glanz, dass ich sagen würde: blattgrün – im Gegensatz zu smaragdgrün, was sehr zu seiner Menschlichkeit beitrug, da meiner Meinung nach viele grünäugige Menschen heutzutage wie Technologieprodukte aussehen. Künstlich. Sein Kinn, sein ausladendes Kinn hatte eine Spalte. Aber jetzt Schluss mit dem Thema Kinn. Ich bin sicher, dass er die Blicke all der Männer in dieser Bar sehr wohl spürte, sie aber nicht weiter beachtete. Mit rundem Rücken saß er auf seinem Hocker, und die Beine in den Designer-Jeans reichten locker bis zur Fußraste und noch darüber hinaus. Er trug ein Sakko und ein bürofeines Hemd mit offenem Kragenknopf, aß Erdnüsse und trank Bier mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Irgendwie hatte ich gleich das Gefühl: Amherst College.
Die einzige Anmache, die ich (leider, sei gesagt) mit ansehen musste, ging von einem großen, glatten, blauäugigen Mann in Rugbyshirt und weißen Baumwollhosen aus. Wie er sich zwischen den Mann und mich drängte und seinen gesamten Oberkörper seitlich über die Theke schob und den Mann dadurch teilweise verdeckte, dass ich ihn nur noch via Spiegel, oberhalb des glitzernden Schnapsregals, beobachten konnte. Ich bebte. Ich bebte, weil mir der Vorgang der Annäherung so beunruhigend bekannt vorkam. Etwas Ähnliches hatte sich in jeder Single-Bar abgespielt, heterosexueller Single-Bar möchte ich betonen, die ich in der ersten lenorenlosen Zeit nach meinem Umzug nach Cleveland aufgesucht hatte. Es war der klassische Annäherungsversuch.
»Hallo«, sagte der Anmacher via Spiegel zu dem Mann. »Bist du öfter hier?«
Ich bebte innerlich.
»Nein«, sagte der Mann und warf sich eine Hand voll Nüsse in den Mund. Sein Blick traf mich im Spiegel.
»Habe ich mir doch gleich gedacht«, erklärte der Anmacher nach einem prüfenden Blick auf die Bizeps unter dem Sakko. »Ich bin nämlich regelmäßig hier, und du wärst mir bestimmt aufgefallen, aber du bist mir nicht aufgefallen.« Er spielte mit seinem Daiquiri-Glas.
Der Mann schaute via Spiegel auf den Anmacher und schien nachzudenken. Seine grünen Augen hatten auf einmal diesen amüsiert-müden Blick. »Junge, ich schätze, bei mir bist du an der falschen Adresse«, sagte er zu dem Anmacher. »Ich bin nur zum Gedenken hier, kein Gast.«
Der Anmacher sah auf die Hände des Mannes, die das Bierglas hielten. »Zum Gedenken?«
»Genau«, sagte der Mann. »Ich bin hier früher zur Uni gegangen. Ist schon ein paar Jahre her.« Eine Nuss flog in seinen Mund.« Früher war ich oft hier, als der Laden noch anders war.«
»Tatsache?« Der Näherer stützte das Kinn in die Hand. »Wusste gar nicht, dass sich das Flange verändert hat.«
»Ist aber so.« Der Mann sah dem Anmacher via Spiegel in die Augen. »Jetzt – tut mir Leid, das zu sagen – sieht es aus wie ein Laden für Schwuchteln.« Er sagte das langsam und überdeutlich. Ich sah hinunter auf meinen Drink und auf mein Taschentuch. Als ich wieder aufblickte, war der Anmacher weg. Er hatte sich zum Fernseher verzogen, und der Mann bestellte sich seelenruhig sein zehntes Bier, wiederholte seine Order so lange, bis der Barmann ihn nicht länger ignorieren konnte.
Vorsichtig, um ihn nicht auf die falschen Gedanken zu bringen, stand ich auf und rutschte auf den Hocker neben ihm, auf dem meine Beine jedoch ebenso wenig Halt fanden wie auf dem ersten.
»Hör mal, ich bin auch nicht homosexuell«, sagte ich, zum Glück leise. »Und auch ich bin eigentlich auch nur zum Gedenken hier und kein Gast. Aber ich glaube, wenn man schon, aus welchem Grund auch immer, ein solches Lokal betritt, dann sollte man den Leuten halbwegs mit Anstand begegnen, denn für sie ist der Aufenthalt hier ... vollkommen angemessen.« In meinem Glas knackte plötzlich das Eis.
Kauend sah mich der Mann via Spiegel an. Wir warteten, bis die Erdnüsse geschluckt waren.
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