Der Besen im System
werden. Keine Spielchen mehr. Andauernd sagen mir irgendwelche Leute, was ich zu tun und zu denken habe oder wie ich sie nennen soll, und ich tue es. Aber das lässt sich ändern. Dann braucht auch keiner mehr zu flüstern, wenn ich schlafe. Oder hinter meinem Rücken irgendwelche Leute einzustellen, die hinter mir her spionieren. Oder Gasmasken aufzusetzen. Sondern kann mir einfach sagen, was los ist.« Lenore drehte sich um. »Wir könnten jetzt schon damit anfangen, hast du Lust? Okay, hier kommt meine Frage: Hängst du in der Sache mit meiner Urgroßmutter drin? Was ist deine Rolle?«
»Langsam, langsam«, sagte Lang. Er setzte sein Glas ab und ging ebenfalls ans Fenster, blieb aber einen Meter hinter Lenore stehen. Auf der einen Seite befand sich der Fernsehschirm, auf der anderen, hinter Lang, ging es zur Tür. »Erst einmal«, sagte Lang, »weiß ich rein gar nichts von irgendeiner Sache, in der ich drinhängen soll. Außer dir kenne ich niemanden aus eurer Familie.« Er schüttelte den Kopf. »Und soweit ich weiß, spioniert auch niemand hinter dir oder mir her.«
Lenore schaute auf den Fußboden, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und verschränkte die Arme vor der Brust. Lang stand zwischen ihr und der Tür. Ihre Augen wurden groß und heiß, und sie hatte das Gefühl, als sei ihr Kehlkopf aus Holz. Sie blickte auf Lang, der seine Daumen in den Hosentaschen eingehakt hatte.
»Aber warum habe ich dann dauernd das Gefühl, dass alle Welt mich mit dir verkuppeln will?«, sagte sie leise und hatte den Eindruck, dass sie gleich anfangen würde zu weinen.
Lang sah sie an. »He, bitte, bitte nicht weinen«, sagte er.
»Vor allem, weil ich überhaupt nicht darum gebeten habe«, sagte Lenore. »Weil ich dich auch nicht leiden konnte. Und dich auch bestimmt nicht wollte.« An Lang vorbei blickte sie zur Tür und fing an zu schluchzen, fühlte, wie sich ihre Schultern über dem Schlüsselbein zusammenzogen.
Dann war Lang plötzlich da, und ihr Gesicht war in Langs Hemd, und aus dem Nichts wurde ihr ein Kleenex-Tuch in die Hand gedrückt, und das Holz in ihrer Kehle zerbrach und tat in alle Richtungen weh.
Mit seinem Mund machte Lang leise, rhythmische Geräusche in Lenores Haar.
»Ich habe dich gehasst«, sagte Lenore in sein Hemd, zu seiner Brust. »Du bist da einfach reingeplatzt, besoffen, wie du warst, und hast uns terrorisiert. Und dieser Kerl lässt die Hosen runter, und Sue Shaw hatte solche Angst.«
»Schon gut, ich weiß«, sagte Lang leise. »Schon gut. Wir waren Kinder damals. Nichts als Kinder. Das ist alles.«
»Und ich sage, dass ich dich nicht will. Dass ich wütend bin und auch Grund dazu habe, wenn alle mir auf die bekannte Art zuzwinkern, mir in die Seite stoßen, als verstünde ich schon, oder wieder diesen speziellen Ton anschlagen und vor allem drängen, drängen, drängen.« Langs Hemd wurde langsam nass. »Ich habe mich so schmutzig gefühlt. Weil immer nur die anderen bestimmt haben.«
Lang schob sie etwas weg und trocknete ihre Tränen mit seinem Ärmel. Lenore sah kurz in seine Augen und dachte völlig grundlos an Pfefferminze, Lima-Bohnen, schlappes Gras. Seine Augen waren vollkommen unblutunterlaufen. »Lenore«, sagte er, »alles wird gut. Bitte glaube mir nur, dass ich dich nicht bedrängen will. Glaube es einfach«, sagte er. »Okay? Du kannst mir vertrauen. Weil es wahr ist. Ich will dir auf keinen Fall wehtun.« Er rieb an seinem intakten Auge, und Lenore roch wieder an seiner Brust. Denn sogar als sie weinte, hatte sie ihn, durch seine und ihre Sachen hindurch, spüren können.
»Lenore?«, sagte Lang, nachdem er sie eine Weile in sein Hemd hatte atmen lassen. »Hey, Lenore?« Er beugte sich über sie und legte seine Hände um ihr Ohr wie ein Megaphon. » Lenore Beadsman .«
Lenore lachte krampfhaft und hielt das Kleenex vor ihr Gesicht. Das Kleenex war heiß und nass und hatte sich in ihrer Hand bereits halb aufgelöst.
»Also, ich sage das jetzt so, wie ich es meine, Lenore«, sagte Lang. »Ich will dich nicht kontrollieren, okay? Und vielleicht sollte ich das jetzt gar nicht sagen, aber ich tue es trotzdem. Dass nämlich der gute R. V. genau das tut, dich kontrollieren will – und vielleicht mehr, als gut für dich ist.«
Ohne Grund schaute Lenore an Lang vorbei zu Mistys Decke hoch, die zugleich ihr, Lenores, Fußboden war.
»Lenore«, sagte Lang. Mit seiner großen warmen Hand streichelte er den weißen Ärmel ihres Kleids, und aus dieser Hand floss Hitze
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