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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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ab. Nur für den Notfall.«
    »Hier hast du.«
    »Gott segne dich, Lenore.«
    »Und jetzt bitte eine Geschichte.«
    »Eine Geschichte? Hier?«
    »Ja, ich habe Lust auf eine Geschichte. Außerdem lenkt dich das ein bisschen ab.«
    »Danke. Gerade jetzt, wo ich anfange, nicht mehr an meine Ohren zu denken, musst du mich erinnern.«
    »Okay, darf ich dich bitten, den Flug mit einem Minimum am Stress hinter dich zu bringen? Was sollen denn die Piloten und die Stewardess denken? Sie werden ohnehin alles haarklein meinem Vater erzählen.«
    »Wie nett.«
    »Kein Theater, bitte.«
    »Kein Theater, aber eine Geschichte?«
    »Bitte.«
    »...«
    »Ich weiß, du hast eine in petto. Ich habe beim Packen die großen braunen Umschläge in deinem Aktenkoffer gesehen.«
    »Himmel, sie wollen tatsächlich starten. Wir bewegen uns. Meine Ohren blubbern wie wahnsinnig.«
    »...«
    »Es gehört zu den großen Ironien, dass ausgerechnet der Mann mit der stärksten und reinsten Liebe, die überhaupt vorstellbar ist, niemanden findet, den er lieben kann.«
    »Ist das schon die Geschichte oder wieder nur ein Vigorous-Spruch?«
    »Wart’s ab. Dein Sarkasmus ist unangebracht. Es geht tatsächlich um einen Mann, dessen Instinkte und Neigungen so rein und stark sind, dass er sie nicht mehr kontrollieren kann. So passiert es zum Beispiel immer wieder, dass der Mann einer, sagen wir, auch nur halb- oder viertelwegs attraktiven Frau begegnet und sich an Ort und Stelle unsterblich in sie verliebt und ihr das auch genau so sagt, ohne jegliche Vorbereitung: ›Ich liebe dich.‹ Es ist praktisch das Erste, was er zu der Frau überhaupt sagt, weil er seine Gefühle kein bisschen im Griff hat. Was übrigens nichts – der Autor macht das sehr deutlich – mit sexueller Lust zu tun hat, sondern ausschließlich mit einer tiefen, vielschichtigen, leidenschaftlichen Liebe, mit Gefühlen, die einfach über ihn kommen. Deshalb sagt er schon bei der ersten sich bietenden Gelegenheit: ›Ich liebe dich.‹ Seine Pupillen weiten sich, bis sie fast so groß sind wie sein ganzes Auge, und ohne über irgendetwas nachzudenken, geht der Mann auf die fragliche Frau zu, was leider wie ein plumper Annäherungsversuch aussieht. Jedenfalls ist die Reaktion der Frau, die praktisch jede Frau sein könnte, verständlicherweise nicht gerade positiv. Ein Mann, der ›Ich liebe dich‹ sagt und ihr derart nah kommt, da ist die Ablehnung vorprogrammiert, entweder verbal oder mit der Handtasche oder, schlimmste aller Reaktionen, durch augenblickliche Flucht und lautes Geschrei, von dem aber nur er und die Betreffende etwas mitkriegen.«
    »Guck mal, da unten.«
    »Wo?«
    »Hier aus dem Fenster.«
    »Himmel, ich kenne sie. Das ist doch ...«
    »Genau. Jayne Mansfield.«
    »Jayne Mansfield, du hast Recht. Aber was macht sie da als Stadt? Ist das East Corinth?«
    »Erklär ich dir später.«
    »Guter Gott, sieh doch da hinten. Das ist die 271. Das ist der Innere Ring. Da bin ich schon langgefahren.«
    »Unterdessen ging aber die Geschichte mit dem Mann, vor dem sie alle lautlos schreiend davonlaufen, munter weiter.«
    »Ach ja. Jedenfalls hat der Mann mit der Situation so seine Probleme. Nicht nur bleibt ihm die Erfüllung seiner Liebe verwehrt, gerade ihre Unbedingtheit verhindert die Erfüllung, worüber er noch viele Male trauriger und frustrierter ist, als unsereiner je sein würde, mit unseren stets gut gezügelten und deshalb auch nie ganz erfüllenden Leidenschaften.«
    »Noch ein Kaugummi?«
    »Und so geht es mit dem Mann bergab. Er verliert seinen Job am Eichamt des State Departments von New York, ein Job, in dem er unglaublich erfolgreich gewesen ist, bevor sein Liebeswahn ausbrach. Tagelang läuft er nur durch die Straßen, Geld hat er noch aus seiner Zeit als Eichspezialist. Stehen bleibt er nur, wenn er sich wieder verliebt. Und bekommt dafür Ohrfeigen. Wird ausgelacht und hört die stillen Schreie. Das zieht sich einige Monate so hin, bis er eines Tages am Times Square auf einen kleinen, billig fotokopierten Werbezettel stößt, der die Dienstleistungen eines so genannten Liebestherapeuten anpreist, der von sich behauptet, praktisch jedes Liebesproblem erfolgreich behandeln zu können.«
    »Ein Sexualberater?«
    »Nein, im Gegenteil. Denn ganz unten steht in Kursivschrift ausdrücklich: ›Keine Sexualberatung‹. Der Mann, der zwar mit seinem augenblicklichen Leben nicht glücklich ist, eine Änderung seines Zustands allerdings auch nicht sehr ersprießlich

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