Der bessere Mensch
das Tablett auf einen kleinen Klapptisch.
„Abbeyfield, Sarabande, Mabella, Sanssoucis …“
„Die Sorten“, beantwortete sie Schäfers fragenden Blick. „Setzen Sie sich.“
Er nahm in einem Korbstuhl Platz und sah ihr zu, wie sie von einem bonsaiartigen Strauch ein paar Blätter zupfte und in die Gläser warf.
„Was ist das?“
„Wahrheitskraut … damit Sie schön ehrlich zu mir sind“, beim Anblick seines skeptischen Gesichts fing sie zu lachen an, „Zitronenverbene … diesen Strauch habe ich schon seit zwanzig Jahren“, sagte sie, strich zärtlich über die Blätter und setzte sich dann Schäfer gegenüber.
„Ich bin noch gar nicht dazugekommen, Ihnen mein Beileid zum Tod Ihres Mannes auszusprechen“, meinte Schäfer nach einem Augenblick des Schweigens.
„Das ist nett von Ihnen … Ihr Bruder hat Max gekannt, nicht?“
„Ja … also, ich weiß nicht, wie gut … er hat bei ihm ein paar Vorlesungen besucht und spricht nur in den höchsten Tönen von ihm …“
„Ich weiß noch gar nicht, wie das werden soll … ohne ihn.“
Schäfer wusste nicht, was er ihr antworten sollte, und griff verlegen zu seinem Glas.
„Aber Sie sind nicht hier, um sich von einer alten Witwe etwas vorjammern zu lassen … also: Was wollen Sie wissen?“
„Haben Sie schon einmal von Paul Kastor gehört?“
„Ich weiß es nicht … wer ist das?“
„Ein Mörder, den wir vor fünfzehn Jahren in der Nähe gestellt haben, nachdem er aus dem Gericht geflohen ist.“
„Oh“, meinte sie, als hätte sie etwas falsch gemacht, „ja, daran erinnere ich mich.“
„Jetzt geht es eigentlich weniger um Ihren Mann als um Doktor Hofer und eine Frau namens Anke Gerngross …“
„Gernot? Na, jetzt bin ich aber gespannt …“
„Ja“, zögerte Schäfer, der sich noch nicht entschieden hatte, inwieweit er ihr vertrauen sollte. „Gut … was ich Ihnen jetzt sage, muss ich Sie bitten, vertraulich zu behandeln …“
„Sie haben mein Wort“, erwiderte sie und sah ihn an, als ginge es um einen Schülerstreich.
„Im Zuge einer Mordermittlung sind DNS -Spuren aufgetaucht, die … na gut: An einem Tatort sind Haare zurückgeblieben, die von Kastor stammen … irgendjemand spielt hier mit uns … und Gernot Hofer sowie Frau Gerngross scheinen in dieser Geschichte eine Rolle zu spielen.“
„Inwiefern?“, fragte Frau Bienenfeld, bei der das Gesagte offenbar noch nicht angekommen war.
Schäfer sah in den Garten hinaus, wo sich auf einem dichtblättrigen Strauch ein ganzes Schmetterlings-Bataillon vergnügte – oder Schwarm oder wie auch immer das hieß –, nein, hier konnte nichts Böses hausen.
„Vor gut drei Wochen wurde Hermann Born in seiner Villa in Wien ermordet“, begann Schäfer, Frau Bienenfeld mit dem Fall vertraut zu machen, die alsbald die Augen schloss und nur durch periodisches Kopfnicken zu erkennen gab, dass sie noch zuhörte.
„Hermann Born, das war der Sohn …“, meinte sie abwesend, nachdem er seinen Bericht beendet hatte.
„Ja.“ Schäfer wusste nicht, ob sie innehielt, weil sie sich nicht mehr erinnern konnte, oder weil es zu schmerzhaft war. Ein paar Minuten vergingen, in denen sie beide den Schmetterlingen zusahen.
„Ich fühle mich ja geschmeichelt, dass Sie mich da als Miss Marple betrachten“, sie hatte sich offensichtlich wieder gefangen, „aber ich habe keine Ahnung, wie ich Ihnen weiterhelfen kann … das klingt für mich alles so wirr, so … was sagt denn Gernot dazu?“
„Er hat Kastor als Kind wegen einer Gehirnhautentzündung behandelt … Gerngross hat ihre Doktorarbeit bei Doktor Hofer geschrieben und in dieser Zeit Kontakt zu Paul Kastor gehabt … innigen Kontakt, wie ich annehme, da sie ihn viermal im Gefängnis besucht hat … und jetzt arbeitet sie an derselben Klinik, die Doktor Hofer mit Ihrem Mann geführt hat …“
„Es tut mir leid … aber wer soll denn nun diese Menschen getötet haben? Und warum kommen Sie damit zu mir?“
Schäfer wusste, dass er sich nun auf dünnes Eis begab, doch immer nur andeuten und vermuten – schließlich war er Polizist.
„Ihr Mann … ich verdächtige ihn in keiner Weise, nur … sein Tod beziehungsweise seine Beerdigung fällt zeitlich zusammen mit dem ersten Mord … das habe ich zufällig erfahren, als ich damals mit meinem Bruder telefoniert habe, der ebenfalls …“
„Sie müssen sich nicht rechtfertigen“, wurde Schäfer unterbrochen. „Jetzt vermuten Sie, dass mein Mann gewusst haben könnte, wer diese
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