Der bessere Mensch
Pause, „aber ich glaube, ich bin zu dumm, um es ganz zu verstehen.“
„Da geht es Ihnen wie mir“, sie lächelte einen Schmetterling an, der sich am Rand ihres Glases niedergelassen hatte und seine Fühler nach der Flüssigkeit ausstreckte. „Aber das hat nichts mit Dummheit zu tun. Max hat immer gesagt, das, was er tut, kann man nur verstehen, wenn man es selber tut …“
„Hm …“, Schäfer hatte den Faden verloren, dazu die Zeit und jede Lust, diesen Garten zu verlassen und sich den Anforderungen seiner Gegenwart zu stellen. „Diese Hütte, auf dem Predigtstuhl, könnte ich mir die einmal ansehen?“
„Weshalb … ja … wollen Sie den Schlüssel?“
„Nur wenn es Ihnen nicht unangenehm ist … nicht, dass ich dort herumschnüffeln will, nur …“
„Bei mir brauchen Sie sich nicht zu rechtfertigen … schnüffeln Sie herum, machen Sie sich einen Pulverkaffee, wischen Sie Staub … von mir aus können Sie dort oben auch übernachten … das hat mir immer gefallen, so vom Tal wegzurücken …“
Und gegenüber Hitlers ehemalige Sommerresidenz, den Obersalzberg, sehen, dachte Schäfer und war heilfroh, diesen Gedanken nicht laut ausgesprochen zu haben. Aber im Ernst: Wie konnte sich jemand mit dieser Geschichte in dieser Gegend wohlfühlen?
„Ich hole Ihnen den Schlüssel …“ Frau Bienenfeld lächelte ihn an, als ob sie seine Gedanken erraten hätte und er einfach zu jung oder zu dumm war, das Leben zu verstehen.
„Verzeihen Sie mir den abrupten Aufbruch“, sagte er, als sie zurückkam und ihn vor der Laube stehen sah, „aber es stehen noch einige wichtige Dinge an …“
„Ich begleite Sie hinaus“, sagte sie und führte ihn durch den Garten. Auf halbem Weg blieb sie vor einem zwergenhaften Apfelbaum stehen, drehte eine der wenigen Früchte vorsichtig in der Hand und nahm sie schließlich vom Ast.
„Eine sehr spezielle Sorte“, erklärte sie, drehte sich zu Schäfer um und legte ihm den Apfel in die Hand. „Die einzigen, die um diese Zeit schon reif sind … aber sehr sensible Früchte …“
„Danke“, erwiderte Schäfer und hielt den Apfel in der Hand wie ein wertvolles Erbstück.
31.
Schäfer rief ein Taxi und ließ sich ohne lange Überlegung zur Predigtstuhlbahn in Bad Reichenhall bringen. Was denn? Sein Bruder hatte recht, Kamp hatte recht, Hofer hatte recht, ja, vielleicht hatte sogar Bergmann recht: Er war unbrauchbar für diesen Fall, es war verantwortungslos, ihn mit einer Waffe herumlaufen zu lassen, er war derjenige, der verschwitzt und völlig von Sinnen inmitten dieses verrückten und undurchsichtigen Geflechts stand, inmitten dieses thailändischen Marktes, von dem Frau Bienenfeld gesprochen hatte. Hetzte einer Spur hinterher, schlug sich zwischendrin grundlos mit einem der Verkäufer, glaubte, eine andere Spur zu sehen, prügelte und schrie sich durch, bis er letztendlich vor … doch nur vor seinem eigenen gesprungenen Spiegelbild stand. Ehrlich: Er hatte nichts. Nichts, mit dem er zu einem Staatsanwalt gehen konnte, nichts, was eine Vernehmung, geschweige denn eine Verhaftung rechtfertigte. Er hatte versagt. Jetzt musste er Kamp anrufen, ihm sagen, dass er den Fall nicht länger bearbeiten konnte, alles andere wäre illoyal, ein Verrat an seinen Kollegen, die er in den Dreck zog, in dem er watete, mit dem er um sich schmiss.
Er kaufte sich eine Fahrkarte und wartete, bis die Gondel in die Talstation einfuhr. Gemeinsam mit etwa zehn Touristen stieg er ein und schwebte die nächsten acht Minuten über Fichtenwald und Felsvorsprünge in Richtung Gipfel. Immer leichter fühlte er sich, ah, diese Ruhe, vielleicht würde er sich eine Woche hier oben einquartieren. Einzig die alpine Ausrüstung der anderen Fahrgäste bereitete ihm kurzzeitig Sorgen. Er selbst in Anzug und leichten Halbschuhen – hoffentlich würde sein Ausflug ihn nicht in Lebensgefahr bringen. Zu früh gefürchtet: Zu Bienenfelds Hütte führte ein gut erhaltener Wanderweg, der nur Schäfers Raulederschuhe arg in Mitleidenschaft zog. Auf der Sonnenbank vor der Hütte saß ein älteres Paar und genoss die Aussicht. Schäfer grüßte, streckte sich durch wie nach einer anstrengenden Bergtour und fragte, ob er sich kurz ausruhen dürfe.
„Wir haben bestimmt nichts dagegen“, meinte der Mann freundlich, „und der Besitzer ist schon vor einer halben Stunde gegangen.“
„Der Besitzer?“, fragte Schäfer und stand abrupt auf. „Wie hat er ausgesehen?“
Als er die erschrockenen Gesichter des
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