Der bessere Mensch
Doch die Frau hatte diesen gemeint, oder? Er rief Bergmann an und gab ihm die notierten Kennzeichen durch mit der Bitte, sie überprüfen zu lassen. Ein Mann kam aus der Einfahrt gelaufen, über dem Kopf eine Zeitung, sperrte einen der Wagen auf, stieg ein und fuhr los.
19:56
Eine Frau, deren Gesicht von einem Regenschirm verdeckt wurde, kam auf den Parkplatz, bemühte sich mit ungelenken Bewegungen, beim Einsteigen in ihr Auto nicht nass zu werden, und fuhr schließlich los.
20:06
Schäfer trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Ruhig, ermahnte er sich, das ist noch keine Verspätung, nicht für eine Frau.
20:10
„Bei Gefahr im Verzug gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzungen“, kommentierte Bergmann das deutliche Räuspern von Kovacs, während sie auf der Autobahn durch einen Baustellenbereich rasten.
„Dann sollten wir vielleicht Blaulicht und Sirene setzen.“
„Stimmt“, erwiderte Bergmann erstaunt und betätigte den Schalter. „Kommen Sie mit den Kennzeichen weiter?“
20:12
Sein Handy läutete. Unbekannter Teilnehmer.
„Ja?“
„Hallo Herr Müller, hier ist Sonja … warum waren Sie nicht da?“
„Ähm … ich bin da.“
„Oh … dann muss ich Sie übersehen haben … ich bin vor Kurzem weggefahren, da war aber niemand …“
„Ich parke am äußeren Ende“, antwortete er. Wollte sie ihn für dumm verkaufen?
„Das tut mir leid … wollen Sie bei mir zu Hause vorbeikommen?“
„Gerne … wenn Sie mir sagen, wo …“
Er klemmte das Telefon zwischen Schulter und Wange und notierte die Adresse. Bevor er den Motor startete, ging er die Kennzeichen durch und versuchte sich zu erinnern, welches dem silbernen Audi gehört hatte, in den die Frau eine Viertelstunde zuvor gestiegen war. SL, dachte er, oder war es BGL ? Aber alle notierten Nummernschilder trugen S, SL oder BGL . Egal, er schrieb eine SMS an Bergmann mit der Adresse der Frau und fuhr los. Die Ortstafel von Bayerisch Gmain schob sich gelb in sein Blickfeld. Langsam rollte er durchs Ortsgebiet und bemühte sich, die Schilder an den abzweigenden Straßen zu erkennen. Lavenzagasse, hier war es. Er bog ab und fuhr an weit auseinander stehenden Einfamilienhäusern und Villen vorbei. Auf Steinmauern gesetzte Schmiedeeisenzäune mit bedrohlichen Spitzen und übermannshohe Hecken prägten das Bild, Schilder, die vor pflichtbewussten Hunden warnten, Kameras an den Toren, und an den Hauswänden kleine Blechkästen mit roten und orangefarbenen Alarmleuchten. Wovor hatten denn die Menschen in dieser Gegend Angst? Vor den Bildern und Berichten aus dem Fernsehen wahrscheinlich, sagte er sich und sah im selben Moment das quadratische blaue Schild mit der Nummer 18. Der silberne Audi von vorhin stand auf dem Rasenstreifen zwischen Straße und Gartenzaun. Schäfer parkte dahinter ein und ging zur Haustür.
20:28
„Ich habe alle österreichischen Fahrzeughalter ermitteln können“, wandte sich Kovacs an Bergmann, der mit verbissener Miene die linke Spur hielt.
„Und?“
„Vier männliche Personen, zwei weibliche … eine Sonja ist nicht darunter. Zwei der Männer arbeiten an der Klinik, einer wohnt in der Stadt, einer in einem Vorort. Die anderen beiden sind ebenfalls in der Stadt gemeldet … vermutlich Besucher …“
„Was ist mit den Frauen?“
„Adelheid Novrotil, achtundsechzig, wohnt in Himmelreich bei Salzburg … Gerda Schubert, zweiundvierzig, wohnt in Salzburg, arbeitet am Flughafen …“
„Und die anderen Kennzeichen, die deutschen?“
„Habe ich angefragt … kommen hoffentlich gleich durch.“
„Scheiße“, fluchte Bergmann, als er das Blitzen der Radarbox wahrnahm, „das ist jetzt schon die dritte.“
20:30
Die Haustür war nur angelehnt, Schäfer drückte trotzdem auf den Klingelknopf, schob die Tür auf und trat ein.
„Hallo … Sonja …“, rief er und blieb im Vorraum stehen, an dessen linker Seite er zwei geschlossene Türen sah, an der rechten Seite sich selbst in einem riesigen an die Wand gelehnten Spiegel mit goldenem Rahmen. Als sich niemand rührte, ging er auf die angelehnte Tür ihm gegenüber zu, durch deren Verglasung ein Lichtschimmer fiel. Bevor er sie aufschob, zog er seine Pistole aus dem Holster und entsicherte sie. Dann trat er in den schwach beleuchteten Raum.
20:31
„Rufen Sie ihn an“, sagte Bergmann nervös und gab Kovacs sein Handy.
„Sie haben eine SMS erhalten … soll ich sie lesen?“
„Von wem? Natürlich!“
„Von Major Schäfer, eine Adresse: Lavenzagasse 18
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