Der bessere Mensch
Geppettos Erziehungsmühen auf sich zu nehmen; ein Retortenkind nach perfekten Vorgaben, genetisch ideal prädisponiert, so ideal, dass man sich die Ängste ersparen konnte, vielleicht doch zu versagen? Er war ihr eigen Fleisch und Blut geworden, aber nur als Objekt, das sie mittels Infusionsschläuchen, Beatmungsmaschinen und Medikamenten an sich banden. Und dazwischen schoben sie bücherweise Testreihen, der Sichtkontakt fand durch winzige Kameras im Gehirn und über das Mikroskop statt, die Berührung über Injektionsnadeln und die Manschette des Blutdruckmessgeräts … und als das alles nicht mehr nötig war? Schäfer beugte sich zu Hofer, dessen Kopf zunehmend in Richtung Tischplatte sank, und sah ihm stumm in die Augen. Allein mit ihm in einem Verhörraum und er könnte ihn brechen: Wissen Sie nicht, Doktor Hofer, dass man einem Kind, oder sagen wir besser Schützling, auch Liebe geben muss, damit es sich zum Guten entwickelt … oh, nein, woher sollten Sie das wissen, von Ihrem Vater sicher nicht, der ist mit Kindern ja ganz anders verfahren … aber auch zum Nutzen der Menschheit, oder? Zum Nutzen der überlegenen Rasse, natürlich … Ja, zwei Stunden mit Hofer allein und er könnte alles aus ihm herausholen. Denn Schuldeinsicht und Kooperationsbereitschaft hin oder her: Schäfer traute ihm nicht.
„Wieso haben Sie sich zu diesem Zeitpunkt mit Max Bienenfeld zerstritten? Laut seiner Frau waren Sie wie Brüder füreinander … und dann plötzlich: Servus, Max, war eine schöne Zeit, bis irgendwann?“
Hofer sah aus, als ob er weinte, doch es fehlten die Tränen.
„Jahrelang haben wir wie in einem Druckkochtopf gearbeitet, alles unter Verschluss, keiner darf was sehen, hören, riechen … und dann …“
Als ihr Projekt tatsächlich Erfolg zu zeigen schien, blieb ihnen jede Möglichkeit verwehrt, ihre Arbeit zu publizieren, ihre Erkenntnisse der medizinischen Welt zu präsentieren, mit einem Bienenfeld-Hofer-Syndrom in die Geschichte einzugehen – meine sehr verehrten Damen und Herren, erstmals in der Geschichte der Medizin, erstmals in der Geschichte der Menschheit: der wissenschaftliche Sieg über das Böse! … Und der Nobelpreis für Medizin … Natürlich konnten sie ihre neuen Erfahrungen verwenden, um anderen Patienten in der Klinik zu helfen, doch … In dieser Zeit sprachen sie kaum noch miteinander, Bienenfeld lud ihn auch nicht mehr zu sich nach Hause ein, es war wie eine langsame Ernüchterung nach einem wüsten Rausch, in dessen Verlauf sich Dinge ereignet hatten, wofür man sich selbst nie für fähig gehalten hatte. Bergmann warf Schäfer einen herausfordernden Blick zu: Na, das ist Ihnen wohl auch nicht ganz fremd, oder, Major?
Sie waren viel zu weit gegangen, doch wie und wohin hätten sie an diesem Punkt umkehren können? Der Untersuchungsrichter stand auf und stellte sich hinter Hofer. Wie wäre es denn damit gewesen, sich einen Anwalt zu nehmen und den Fall der Justiz zu überantworten? Keine Antwort? Also gut, weiter im Text.
Dann … als ob Kastor gefühlt hätte, dass er nicht mehr gebraucht würde, dass sie ihn nicht mehr brauchten, war er plötzlich verschwunden. Verschwunden? Bei Frau Gerngross, meinen Sie, oder?
Ja, das nahmen er und Bienenfeld an; dass sie ihn aufgenommen hatte, ihn bei sich leben ließ, da sie ja schon zwanzig Jahre zuvor eine kurze Beziehung gehabt hatten.
„Sie denken, dass die beiden eine Beziehung geführt haben? So wie die Schöne und das Biest …“
„Ich weiß es wirklich nicht … das mag für Sie jetzt unglaubwürdig klingen, aber … ehrlich gesagt war ich heilfroh, ihn los zu sein … und Max dürfte es ähnlich ergangen sein …“
„Sie haben nie mit Gerngross über Kastor gesprochen?“ Schäfer konnte Hofer in diesem Punkt keinen Glauben schenken.
„Doch, natürlich … aber … das ist für mich aus jetziger Sicht auch unerklärlich, diese Verstohlenheit, dass wir uns so aus dem Weg gegangen sind und getan haben als … mit Max ja auch … kaum dass wir noch miteinander geredet haben … eher aus Verlegenheit … und immer weniger. Ich denke, dass Paul für Anke nach der organischen Rehabilitation umso interessanter war … eine Tabula rasa, ein Retortenmensch, den sie mittels psychologischer und medikamentöser Therapie …“
„… zu einem Vorzeigeexemplar der menschlichen Rasse machen wollte?“, fragte Bergmann.
Jetzt traten Hofer tatsächlich die Tränen in die Augen. Er konnte einem fast leidtun.
„Haben Sie gewusst,
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