Der bessere Mensch
können, ohne dir irgendetwas beweisen zu müssen. Also: Leg deinen Stock weg und setz dich an den Tisch da hinten.“
Um vor den Anwesenden das Gesicht zu wahren, bezeichnete Möring die Polizisten noch als Faschisten und meinte, dass er sie wegen Amtsmissbrauchs verklagen würde, ehe er einen Stuhl nahm, ihn mit der Lehne zum Tisch hinstellte und sich rittlings daraufsetzte.
„Fangen wir zur Abwechslung einmal nicht mit dem Alibi an“, sagte Schäfer. „Du hast das von Hermann Born gehört, nehme ich an …“
„Sicher … die alte Faschistensau …“
„Willst du uns jetzt ein Motiv geben?“
„Wieso soll ich den kaltmachen?“
„Vielleicht weil dich jemand dafür bezahlt hat? Eine alte Rechnung … irgendein reicher Wirrkopf …“
„Schäfer, du wirst alt … glaubst du, dass einer von uns noch in dem Geschäft ist? Da musst du dich an die Ostler wenden, Tschetschenen, Kosovaren, Serben, die machen dir das für ein paar Tausender …“
„Möglich … hast du Namen?“
„Sicher … ich habe die ganze Liste in meiner Hosentasche …“
„Steht da auch drauf, wo du an diesem Tag warst?“
„Bei einem Kollegen in Passau … das weiß ich, weil ich es dort im Fernsehen mitbekommen habe …“
„Ah“, sagte Bergmann, „Sie haben also das österreichische Staatsgebiet verlassen … verstößt das unter Umständen gegen die Bewährungsauflagen?“
„Scheiße, die paar Tage“, meinte Möring nervös, „ich habe mit dem Born nichts am Hut, das könnt ihr mir glauben.“
„Und was sagt man so, wer’s gewesen sein könnte?“
„Na ja … ich habe was vom Mossad gehört, die Israelis halt … oder so einer wie im Film, verstehst du, der irgendwo allein lebt und niemandem auffällt und dann, zack, bringt er einen um und verschwindet wieder, dann den Nächsten, so lange, bis er fertig ist …“
Bevor sie das Lokal verließen, verlangten sie von Möring die Telefonnummer des Bekannten aus Passau und riefen ihn an. Er bestätigte dessen Alibi und gab ihnen die Namen zwei weiterer Männer, die Mörings Aufenthalt ebenfalls bezeugen könnten. Was die Aussagen solcher Bekannter wert waren, wusste Schäfer. Doch egal, was Möring zur besagten Zeit tatsächlich getan hatte – für den Mörder hielt er ihn nicht.
„Zielinski?“, fragte Bergmann, als sie wieder im Wagen saßen.
„Den lassen wir vorladen … in seinem privaten Umfeld führt sich der immer wie der letzte Habsburger auf … das brauche ich heute wirklich nicht mehr.“
Im Kommissariat überarbeitete Schäfer mit Bergmanns Hilfe erneut den gesamten Ermittlungsakt, der mittlerweile schon mehrere Schnellhefter füllte. Wie viel davon sie weiterbringen würde, stand auf einem anderen Blatt. In Schäfer löste solch eine Masse an Informationen ein Gefühl der Ohnmacht aus. Mit zweiundvierzig Jahren war er der jüngste Major im Dienst der Wiener Kriminalpolizei – doch angesichts der rasanten Zunahme der Datenquellen, der weltweiten Vernetzung der Polizei, der ständigen Verbesserung der forensischen und medizinischen Methoden, der Unmenge an Informationen, die sich aus der Internet-, E-Mail- und Handynutzung ergaben, fühlte er sich beizeiten wie ein kriminalistisches Fossil. Und er hoffte insgeheim, dass auch den jüngeren Kollegen manchmal schlecht wurde, wenn sie an diesem Berg an unverdautem Wissen kauten, den ihnen der technologische Fortschritt jeden Tag schneller auf den Tisch knallte als der Kellner im Chinarestaurant die Tagessuppe.
Um sieben verließen sie gemeinsam das Kommissariat, um auf den Steinhofgründen laufen zu gehen. Bergmann hatte seine Trainingskleidung bereits im Auto, also fuhren sie auf direktem Weg zu Schäfers Wohnung, wo dieser sich rasch umzog.
Sie waren noch keine zehn Minuten gelaufen, als sie von einem heftigen Platzregen überrascht wurden. Beide hatten sie keine Regenjacken dabei. Doch Schäfer wollte sich davon auf keinen Fall das Training verderben lassen und überzeugte Bergmann davon, dass es nichts Schöneres gab, als durch den warmen Sommerregen zu laufen. Und da sich dieser nicht die folgenden Tage von seinem Machochef als Weichei bezeichnen lassen wollte, willigte er ein.
Wieder zu Hause, war Schäfer eben dabei, in die Dusche zu steigen, als Isabelle anrief. Zuerst überlegte er, sie später zurückzurufen – doch wenn sie dann nicht mehr erreichbar wäre? Er hob ab, klemmte sich das Telefon zwischen Hals und Wange, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und setzte sich ins
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