Der bessere Mensch
wenn sie ein halbwegs erholter Mann erwartet.“
„Ja … und woher wissen Sie, dass sie heute kommt?“
„Sie hat es mir gesagt …“
„Na dann … wenn was Wichtiges passiert, rufen Sie mich an … ach ja: Kovacs … die hat Neuigkeiten im Fall Schöps … schauen Sie sich das bitte an und lassen Sie nicht zu, dass sie allein loszieht … die war gestern ziemlich geladen … und fragen Sie nach, ob Schreyer irgendwas über dieses Propofol herausgefunden hat, dieses Narkosemittel …“
„Mache ich … gute Besserung.“
Seit wann telefonierten denn Bergmann und Isabelle miteinander, wunderte sich Schäfer, während er Teewasser aufstellte und zwei Löffel Holunderblüten in eine Kanne gab. Und worüber redeten sie? Über ihn wahrscheinlich … Bergmanns trostvolle Schulter, jaja, ich weiß doch nur zu gut, wie er ist … gut, Sorgen musste er sich diesbezüglich keine machen, so weit kannte er seinen Assistenten.
Er stellte Teekanne und Tasse auf dem Couchtisch ab, schloss die Jalousien der Dachfenster und streckte sich auf dem Sofa aus. Obwohl die Raumtemperatur bestimmt schon an die fünfundzwanzig Grad betrug, deckte er sich zu. Nach der zweiten Tasse Tee begann er so stark zu schwitzen, dass er kurze Zeit später ein frisches T-Shirt aus dem Schlafzimmer holte. Zufrieden mit der Auswirkung seiner Erkältungskur schlief er ein. Um halb zwölf weckte ihn das Telefon. Isabelle, die ihm die genaue Ankunftszeit ihres Fluges mitteilte. Er versuchte sich zu erinnern, ob er versprochen hatte, sie abzuholen. Nein, bestimmt nicht. Doch vielleicht erwartete sie diese Überraschung … er sagte ihr, dass er sich erkältet habe und im Bett liege; damit wäre der Fall erledigt und eine Enttäuschung ausgeschlossen. Doch wenn sie die Tiefe seiner Liebe nun daran maß, in welchem Zustand er für sie die Strapazen einer Fahrt zum Flughafen auf sich nähme? Frauen, murmelte er, nachdem sie das Gespräch beendet hatten. Er stand auf, trank eine halbe Flasche Mineralwasser und wärmte sich eine Dose Tomatensuppe auf.
Isabelles überraschender Besuch machte ihn nervös. Weil sie sich schon zu weit voneinander entfernt hatten? Weil es ihm ohne sie gar nicht so schlecht ging? Die Entfernung wird doch als der Wind bezeichnet, der die Leidenschaft anfacht, wenn sie stark genug ist. Und der sie auslöscht, wenn sie nur mehr vor sich hin glimmt. In ihrem Fall würde wohl die Nähe beweisen, ob noch genug Feuer vorhanden war.
Es gelang ihm nicht mehr, einzuschlafen. Schweißnass wälzte er sich unter dem Laken hin und her, seine Laune wurde immer schlechter. Wedekind, vielleicht konnte der ihm helfen. Schäfer ging ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Natürlich könnte er auch ein paar Stunden arbeiten, am Balkon noch einmal die ganze Akte durchgehen. Doch wozu … ausnahmsweise standen sie unter relativ geringem Druck … viele Journalisten waren auf Urlaub und den Oppositionsparteien war der Mord an Born offenbar auch nicht öffentlichkeitswirksam genug, um den Innenminister anschwärzen zu können. Und er selbst? War ihm die Aufklärung des Falls wichtig genug? Vielleicht war jetzt ja Schluss und der Mörder wieder in die unbekannten Tiefen abgetaucht, aus denen er gekommen war. Dann hätten sie einen toten Rechtsextremen, einen eingeschüchterten Yuppie und im Keller eine schnell verstaubende Akte. Nichts, was sein Spiegelbild am Morgen in eine verabscheuungswürdige Fratze verwandeln würde. Da bedeutete es ihm wesentlich mehr, dass der Türke, der seine Tochter erstochen hatte, für den Rest seines Lebens einsaß. Das war Doppelmoral; etwas, das er selbst zutiefst verachtete, oder? Die Ermittlungsintensität und -methoden vom eigenen Urteil abhängig zu machen. War man etwa ein besserer Täter, wenn man den Vergewaltiger seiner Tochter umbrachte, als wenn man bei einem Überfall einen Bankangestellten erschoss? Guter Mörder, böser Mörder. Er wusste, dass er sich ein Urteil darüber nicht erlauben durfte; dass es zumindest seine Arbeit als Polizist nie beeinflussen durfte. Diese Erhabenheit über persönliche oder populäre Moralvorstellungen war es, die Kamp meinte, wenn er sagte, dass sie bessere Menschen sein mussten. Wobei sich Schäfer manchmal fragte, ob er nicht Polizist geworden war, um vor dem eigenen Bösen besser geschützt zu sein, oder, noch schlimmer: um im Falle, dass das Tier in ihm die fragilen Stäbe durchbrach, eine Lizenz zu haben.
Am späten Nachmittag ging er in den Supermarkt und füllte
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