Der bessere Mensch
die Gaststube hinunter. Bis auf ein paar Würstel oder einen Toast konnte ihm die Wirtin nichts anbieten. Schäfer entschied sich für die Würstel, bestellte ein Bier dazu und setzte sich mit einer Tageszeitung an einen freien Tisch. Er schlug die Doppelseite mit dem Fernsehprogramm auf und überprüfte, welchen Schwachsinn er sich im Flughafenhotel ansehen würde. Auf arte gab es einen Themenabend zum Islam. Ein Beitrag befasste sich mit den Ehrenmorden, was Schäfer an den Türken erinnerte, hinter dem sich bald die Gefängnistüren schließen würden. Das tote Mädchen kam ihm unweigerlich in den Sinn, fast nackt, mit dem Messer in der Brust, die Aufnahmen der Einstiche … irgendetwas stimmte nicht an diesem Bild … eine Fälschung… aber wie und von wem? … wenn es die Zeit zuließ, würde er sich morgen noch einmal die Tatortfotos ansehen. Ach, sollte sich Bruckner darum kümmern … er musste mit Hofer reden … wenn der wirklich so ein Heiliger war, würde er doch kaum was dagegen haben, der Polizei ein paar Fragen zu beantworten.
27.
Verdoppelt man die Dosis, reicht der Vorrat nur die Hälfte der Zeit, ganz einfache Gleichung. Schäfer sah auf die beiden leeren Blisterstreifen und fragte sich, wo er so schnell ein neues Rezept herbekäme. Sein Bruder? Nein. Das würde kompliziert werden. Einfach in die Apotheke gehen und seinen Ausweis herzeigen? Hofer, den könnte er fragen, wenn er sich endlich dazu durchränge, ihn anzurufen. Also. Er gab die Nummer ein, als ihn gleichzeitig einer der Salzburger Kollegen anrief: Sie hätten den Großteil der Unterlagen, um die er sie gebeten hatte. Gut, in einer halben Stunde würde er bei ihnen sein. Er zog sich an, verließ die Pension und versuchte sich zu erinnern, wo er den Dienstwagen abgestellt hatte. Zehn Minuten später fand er ihn, versehen mit einem Strafzettel. Den würde er diesmal selbst bezahlen, nahm er sich vor, und legte ihn ins Handschuhfach.
In der Polizeidirektion hatten sie ihm ein kleines Frühstück bereitgestellt. Während Schäfer seine Semmel bestrich, teilte ihm einer der beiden anwesenden Polizisten die Ergebnisse ihrer Ermittlungen mit. Kastor war an jenem Tag, als sie ihn umstellt hatten und er sich die neun Millimeter Vollstahl quer durchs Gehirn geschossen hatte, ins Unfallkrankenhaus Salzburg eingeliefert und sofort auf die neurologische Abteilung gebracht worden. Dort hatten die Ärzte noch kurz versucht, ihn zu reanimieren. Um 16:32 Uhr wurde er offiziell für tot erklärt. Danach: Gerichtsmedizin, Obduktion, Freigabe der Leiche, Einäscherung.
„Wer hat den Tod bestätigt?“
„Ein Doktor Marxgut … der Notarzt, der ihn hergebracht hat …“
„Habt ihr mit dem gesprochen?“
„Noch nicht … der lebt seit acht Jahren in Kanada …“
„Gut … wer war der Gerichtsmediziner?“
„Doktor Clemens Schalk … ist schon seit ein paar Jahren in Pension, lebt in einem Seniorenheim.“
„Schreibt mir bitte die Adresse auf … mit dem will ich auf jeden Fall reden …“
Gegen elf verließ Schäfer die Polizeidirektion. Im Wagen rief er Hofer an und hinterließ eine Nachricht auf dessen Anrufbeantworter. Dann nahm er die Stadtkarte, die ihm seine Kollegen gegeben hatten, breitete sie auf seinem Schoß aus und suchte die Adresse des Seniorenheims, in dem der ehemalige Gerichtsmediziner wohnte. Anif, gar nicht weit von seinem Bruder entfernt – hatte der beim Hausbau schon ans Alter gedacht? Das würde er bei ihrem nächsten Treffen in einen Witz ummünzen.
Kaum eine Viertelstunde später parkte er vor dem Seniorenheim. Musste gut verdient haben, der Doktor Schalk – die Empfangshalle des Heims sah nach Liechtensteiner Bank aus und roch kein bisschen nach alten Menschen. Er ging zur Rezeption und fragte nach Clemens Schalk. Die Empfangsdame reichte ihm eine Besucherliste, in die sich Schäfer spontan unter falschem Namen eintrug. Hektor Maria Müller, las die Frau leise vor und lächelte ihn an, als ob sie ein Geheimnis teilten; ein Pfleger würde ihn zu Herrn Schalk bringen. Jener stand kurz darauf neben Schäfer und führte ihn in den Park; mit dem Hinweis, dass Herr Schalk heute keinen guten Tag habe, worunter sich Schäfer wenig vorstellen konnte. Der ehemalige Gerichtsmediziner saß auf einer Bank im Schatten einer mächtigen Ulme, neben einem Schachfeld aus Steinplatten, und sah zwei älteren Männern beim Spiel zu.
„Herr Schalk?“, begrüßte Schäfer ihn und wartete, bis der Mann ihn aufforderte, sich zu
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