Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
nicht mehr, daß er sich an der Angst der Opfer weidet,
um seine Macht zu spüren, wie so viele Serienkiller. Ich weiß nicht, wieso.
Seine Art der Bestattung, das strahlt fast was Zärtliches aus. Das ist die Tat, das ist das
Ritual, das er ausführen will. Unser Mörder bringt die Kinder um, damit er sie
leichter an den sogenannten Fundort verbringen kann. Dort macht er mit ihnen
das, was er machen muß.«
»Glaubt ihr, wir haben es mit einem Nekrophilen zu tun? Sozusagen
multipel pervers?« überlegte Eberhard mit deutlich angewiderter Miene.
Pete zuckte mit den Schultern: »Mir ist nicht klar, was ihn ankickt.
Ich betrachte nur seine Perseveranz: Was ist typisch für den Tathergang, was
passiert immer wieder? Die charakteristischen Merkmale sind: Erdrosselung von
kleinen Jungen, vermutlich sogenannte Ware aus der Kinderschänderszene. Dann
Bestattung. Aber was verfeinert er in seiner Vorgehensweise? Was erscheint ihm
beim ersten Mal nicht perfekt? Ausschlaggebend für manchmal gravierende
Abweichungen im sonst stabilen Modus operandi sind in erster Linie Lernprozesse
des Täters, der seine Vorgehensweise was Tatmittel, Tatort oder Opferannäherung
betrifft, besser absichern will. Bei unserem Täter jedoch findet die
Veränderung, die Entwicklung, soweit wir wissen, einzig und allein im Ritual
der Bestattung ihren Ausdruck. Wichtig dabei ist nicht nur das friedliche
äußere Erscheinungsbild, sondern die damit offenbar eng verbundene religiöse
Aufladung. Die Feiertage, die Psalmen.«
Unwillig schüttelte Eberhard den Kopf: »Das mag ja sein. Aber wir
sollten den Aspekt des organisierten Verbrechens nicht aus den Augen
verlieren.«
Volker griff den Gedanken auf: »Könnte es nicht sein, daß Joe die
Kinder im Auftrag umbringt, aber Skrupel hat und sie deswegen nicht wie seine
anderen Kunden malträtiert, sondern dieses ganze Ritual macht, um sich
reinzuwaschen vom Kindermord? Russen sind doch oft sehr religiös.«
»Das wäre ein mögliche Variante«, stimmte Pete zu, »aber wo ist das
Motiv? Warum sollte eine organisierte Kindersex-Mafia ihre, entschuldigt bitte,
Wertgegenstände aus dem Weg räumen?«
Eberhard spekulierte: »Vielleicht haben die Jungs Kundennamen
mitgekriegt. Vielleicht wollten sie nicht länger den Mund halten. Vielleicht
ist dieses ganze beschissene Ritual nur dazu da, uns auf die falsche Fährte zu
locken. Damit wir an einen durchgeknallten Serienkiller glauben. Vielleicht
bringt uns dein Profil völlig vom Weg ab!«
Pete sah eindringlich in die Runde. Er spürte, daß Eberhard in eine
ganz andere Richtung ermitteln wollte. Ungeduldig ging er zur Pinnwand und
zeigte auf die Fotos der Leichenarrangements: »Nein, nein! Seht doch mal hin,
das ist ein Gottesdienst! Wir haben es mit einem religiösen Pädophilen zu tun,
der sich seiner Neigung schämt und die Kinder als seine Versuchung dafür
verantwortlich macht. Er tötet mit den Kindern das, was ihn zur Sünde verführen
könnte. Und da er mit den Morden selbst eine Sünde begeht, versucht er sie mit
seinem Bestattungsritual wiederum ungeschehen zu machen.«
»Das hört sich alles logisch an. Aber wir brauchen Theorien, die wir
auch beweisen können. Und zwar schnell«, wandte Christian ein. »Und dabei
dürfen wir trotz des stimmig wirkenden Profils vom gestörten Einzeltäter nicht
die deutlichen Hinweise auf organisiertes Verbrechen übersehen.«
»Sag ich doch«, beharrte Eberhard.
Christian hatte das Gefühl, daß die Wahrheit bei diesem Fall
irgendwo dazwischen lag. Er konnte sich immer auf sein Gefühl verlassen,
operierte vor den anderen aber stets mit Fakten, um weder sie noch sich selbst
mit seinen diffusen Ahnungen in Verlegenheit zu bringen.
Entschlossen erhob er sich: »Ich glaube, beide Ansätze gehen in die
richtige Richtung, auch wenn sie auf den ersten Blick auseinanderdriften. Wir
müssen sie nur zusammenbringen.«
Keiner sagte ein Wort.
»Daniel, du sammelst mir alles, was du über diesen Detering noch
kriegen kannst, mir egal, wo es herkommt«, fuhr Christian fort, »und du,
Volker, treibst Scout und Nicki auf und setzt sie auf unseren Kandidaten an.
Scheiß auf Waller.«
Scout und Nicki waren zwei verdeckt arbeitende Ermittler, die sich
bislang hauptsächlich in der Drogenszene getummelt hatten. Der
Beschattungsauftrag war zwar illegal, doch alle im Raum waren einer Meinung:
Die Kinder, die möglicherweise noch auf der Todesliste des kranken Killers standen,
konnten nicht auf eine juristisch günstigere
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