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Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Titel: Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Beweislage warten.
    Anna entließ den 16jährigen Tim, der heute zum ersten Mal
bei ihr gewesen war, aus der Sitzung und goß sich eine Tasse Kaffee ein. Der
Jugendliche, der an der Schule durch Gewalttätigkeit auffiel, hatte sich extrem
widerspenstig gegeben und sie zu provozieren versucht, indem er mit seinen
schmutzigen Sneakers auf ihrem Sofa herumlümmelte und sich permanent an den
halbwüchsigen Eiern kratzte. Vermutlich kam er sich dadurch männlicher vor. Er
tat alles, um die in seinen Augen mädchenhafte Tatsache zu bemänteln, daß sein
Gefühlsleben in erster Linie von Selbstmitleid bestimmt war.
    Aus den Notizen des Schulpsychologen entnahm Anna eine frühe
Vernachlässigung Tims durch den Vater, der sich schließlich mit einer anderen
Frau komplett aus dem Staub gemacht hatte und seinen damals 13jährigen Sohn mit
einer verzweifelten Mutter zurückließ. Der Junge dominierte seitdem die Mutter
und behandelte seine Mitschüler so, wie er gerne seinen Vater behandeln würde.
Mit den Streitereien an der Schule bestätigte er sich täglich selbst, daß sein
Vater ihn zu Recht verlassen hatte, und provozierte gleichzeitig, daß der
Direktor der Schule ihn auch noch verstieß. Sie würde dringend mit Tims Mutter
reden müssen.
    Anna machte sich ihre Notizen und sah auf die Uhr. Für Dante, der
jeden Moment kommen mußte, hatte sie, wenn nötig, zwei Stunden Zeit. Aber
vielleicht ging er ja schon wieder nach einer halben, ohne wirklich etwas zu
sagen. Anna war sich überhaupt noch nicht im klaren, was sie von diesem
seltsamen Patienten halten sollte.
    Zwei Minuten später war er da, perfekt gekleidet in einem
sommerlichen Anzug. Als Anna ihm die Haustür öffnete, stellte sie fest, daß es
aufgehört hatte zu regnen und sich die Sonne gerade ihren Platz am Himmel
zurückeroberte. Dante trat höflich grüßend ein und stellte seinen nassen Schirm
zum Trocknen in eine Ecke. Dann folgte er Anna ins Sprechzimmer. Sie bat ihn,
sich zu setzen, er nahm den Sessel und mied die Couch. Das Mineralwasser lehnte
er dankend ab. Er wirkte hochkonzentriert und etwas angespannt. Um ihn zu
lockern und an die Situation zu gewöhnen, bat Anna ihn beiläufig, erst einmal
ein wenig von sich zu erzählen. Dazu seien sie bislang noch nicht gekommen.
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Ganz schlichte Dinge. Sind Sie Italiener oder Spanier? Sie sprechen
akzentfrei, aber Ihr Name …«
    Dante zögerte kurz, dann lächelte er: »Das ist ein Künstlername.«
    Anna horchte auf: »Sie sind Künstler?«
    Dante blickte Anna abschätzig an.
    »Ich bemühe mich.«
    »Was für eine Art von Kunst machen Sie?«
    Dante überlegte kurz: »Skulpturen.«
    Der kleine Zögerer vor der Antwort war Anna durchaus aufgefallen.
Sie fragte sich, warum er sich selbst bei diesen relativ belanglosen Fragen zu
seiner Biographie jedes Wort aus der Nase ziehen ließ. Hatte er nicht, wie fast
jeder Mensch, das Bedürfnis, von sich zu reden?
    »Mit welchem Material arbeiten Sie?« fragte sie unverdrossen weiter.
    »Mit natürlichen Materialien.«
    Anna zeigte sich engagiert: »Ich habe kürzlich von einem Künstler
gelesen, der sehr bekannt damit geworden ist. Ein Amerikaner, soweit ich weiß,
mir fällt nur der Name nicht ein … sehr bekannt …«
    Dante schwieg, was Anna stutzig machte. Wenn er sich ernsthaft mit
seinem Metier beschäftigte, müßte er den Namen des Künstlers doch wissen. Und
sagen.
    »Er arbeitet in der Landschaft, arrangiert seine Kunst zwischen
Wäldern und Hügeln, benutzt Zweige …«, fuhr sie fort.
    Dante lächelte. Er wäre nie auf die Idee gekommen, daß seine
spontane Angabe, er sei Künstler, zu solch passenden Vergleichen führen könnte.
Anna sollte ihre Bildchen haben zum Deuten. »Ich manchmal auch. Vielleicht
widme ich Ihnen mal eine Skulptur.«
    »Das wäre wirklich zu viel der Ehre.« Anna machte eine kleine Pause
in ihrem Fragenkatalog und wartete ab. Doch Dante schien immer noch nicht in
Redefluß zu kommen. Jeden anderen Patienten hätte sie nun so lange schweigend
herausgefordert, bis er von sich aus sprach. Schließlich nützte es überhaupt
nichts, mit jemandem arbeiten zu wollen, der sich sperrte. Doch Dante war
anders. Sie spürte, daß er sie herausforderte. Und
sie hatte angenommen, gespannt auf die Aufgabe, die er für sie vorgesehen
hatte.
    »Wie sind Sie auf diese Art der künstlerischen Betätigung gekommen?«
    »Schon als Kind. Da war ich meine eigene Skulptur.«
    Anna hatte plötzlich das Gefühl, daß er den

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