Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Verfahren einzuhandeln. Sicher hatte sie sich geirrt. Ganz
sicher. Am besten hielt sie ganz den Mund. Sie würde morgen alles noch einmal
durchgehen.
Als die Kellnerin weg war, eröffnete Anna in plauderndem Tonfall das
Gespräch: »Sie wollen also eine Therapie. Weswegen denn?«
»Homophobie«, knurrte Christian.
Anna lachte laut auf. Sie war dankbar, daß Christians Auftauchen sie
ein wenig ablenkte.
»Das soll ich Ihnen glauben?«
Christian begann betont gequält: »Mein Sohn, er ist gerade zwanzig
und lebt in den Staaten, hat sich vorgestern endlich mal wieder gemeldet und
seinen Besuch angekündigt, für Dezember. Familienzusammenführung an
Weihnachten. Mit seinem Freund.«
»Sie kennen den Freund nicht?«
Christian schüttelte den Kopf: »Schätze, ich will ihn auch gar nicht
kennenlernen.«
»Seit wann wissen Sie, daß ihr Sohn schwul ist?«
Die Kellnerin brachte den Wein und goß ein. Christian und Anna
stießen an und sahen sich dabei etwas zu lange in die Augen.
»Wir haben nie darüber gesprochen. Weihnachten wird der Moment der
Wahrheit. Er will mit mir darüber reden, das hat er angedeutet. Ich will aber
nicht darüber reden.«
Christian bemühte sich überdeutlich, zerknirscht und betroffen zu
blicken, doch er hielt es nicht durch, um seine Augen wurden die Lachfältchen
sichtbar, und schließlich zog sein Mund nach und verbreiterte sich zu einem nur
noch halb unterdrückten Grinsen.
Anna setzte eine ernste Psychologenmiene auf: »Sie sublimieren.
Vermutlich sind Sie selbst latent schwul. Und fürchten unterbewußt, der Freund
ihres Sohnes könnte ihnen gefallen. Und Sie könnten sich wünschen, daß er …«
»Hören Sie sofort auf!« unterbrach Christian sie lachend und hob
abwehrend die Hände.
»Also mal im Ernst«, sagte Anna, »haben Sie wirklich ein Problem
damit?«
Die Kellnerin brachte einige Hors d’œuvres. Christians Blick folgte
ihrem Hüftschwung, als sie den Tisch wieder verließ. Anna verdrehte die Augen.
»Ein bißchen schon«, wandte Christian seine Aufmerksamkeit wieder
Anna zu, »ich habe keine Lust auf die Aussprache, aber ich fürchte, ich komme
nicht drum herum, wenn ich das Verhältnis zu meinem Sohn verbessern will.«
»Eine gute Einstellung. Anscheinend liegt Ihnen viel an ihm. Das
reicht schon. Reden Sie offen und ehrlich mit ihm. Außerdem haben Sie ja bis
Weihnachten Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen.« Anna lächelte wieder.
»Gehen Sie mal in den ein oder anderen Darkroom, sehen Sie sich ein paar
Magazine an und lesen Sie Platons Symposion. Die Knabenliebe ist immerhin seit
Jahrtausenden …«
Christians Gesicht verdüsterte sich plötzlich, und Anna wurde klar,
daß sie ihn mit dem letzten Satz an den Bestatter erinnert hatte. Ihr wurde
sofort flau.
»Tut mir leid«, meinte sie kleinlaut, »ich wollte bestimmt keinen
Zusammenhang herstellen.«
»Schon gut, ist ja nicht Ihre Schuld«, sagte Christian.
»Kommen Sie denn weiter in dem Fall?«
Anna war ebenso auf einen Schlag ernst geworden.
»Nur sehr langsam. Nicht richtig.«
Jetzt oder nie, dachte Anna. Sie hätte sich zwar gewünscht, einen
unbeschwerten Abend mit einem unbeschwerten Mann verbringen zu können, doch
weder der Abend noch der Mann waren danach. Und auf ihr lastete schließlich
auch eine Sorge, die sie gerne so schnell wie möglich von ihrem Buckel haben
wollte.
»Pete hat mir von dieser Signatur erzählt, das Detail, das nicht an
die Presse gegeben wird.«
Bei Petes Erwähnung wurde Christians Miene noch verschlossener: »Was
genau hat er Ihnen erzählt?«
Anna spürte, wie seine Redebereitschaft sank, doch sie konnte jetzt
nicht zurück: »Nichts weiter. Nur, daß es so was häufig gibt … Was ist es?
Würden Sie es mir sagen?«
Christian sah Anna forschend an. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Ich habe da so eine Theorie«, gab Anna ausweichend zur Antwort.
»Und die wäre?«
Anna schüttelte den Kopf: »Viel zu verstiegen, fürchte ich.«
Christian schwieg.
»Ich habe Ihren Vortrag im Internet nachgelesen. Sind Sie so
fasziniert von Gewalt, weil Sie Mitleid mit Ihrer Mutter haben?« fragte
Christian leise.
»Nein. Ich verachte meine Mutter. Aber eigentlich ist es noch
schlimmer. Ich bin fasziniert von meinem Vater«, gab Anna ebenso leise zur
Antwort.
Christian schwieg und wartete ab, ob Anna Genaueres erzählen wollte.
Sein Blick ruhte auf ihr. Verlegen wich sie ihm aus und drehte das Weinglas in
ihren Händen. Sie schämte sich, begriff nicht, wieso sie
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