Der beste Karlsson der Welt
nach Karlsson um. Aber Karlsson war weg. Lillebror suchte und fand ihn in der Küche. Genauer, im offenen Fenster. Auf dem Fensterbrett stand, auf Mamas bestem Besen reitend, bereit zum Abflug, etwas, was Karlsson sein mußte, obwohl es aussah wie eine kleine Hexe oder ein Trollweib, ganz schwarz im Gesicht, mit einem Kopftuch um den Kopf und einem geblümten Hexenmantel über den Schultern — es war der alte Frisiermantel von Großmama, den sie vergessen hatte, als sie das letzte Mal hier war, und der sich in den Besenschrank verirrt hatte.
«Nee, Karlsson», sagte Lillebror angstvoll, «du darfst nicht fliegen. Denk doch, wenn Onkel Julius dich dann wieder sieht!»
«Dies ist nicht Karlsson», sagte Karlsson mit dumpfer Stimme. «Dies ist eine Schreckse, wild und grausig!»
«Schreckse», sagte Lillebror, «was ist das? Ist es eine Hexe?»
«Ja, aber schlimmer», sagte Karlsson. «Schrecksen sind viel bissiger. Reizt man sie, dann gehen sie ohne Besinnen zum Angriff über.»
«Ja, aber...» sagte Lillebror.
«Die gefährlichsten, die es in der ganzen Märchenwelt gibt», versicherte Karlsson. «Und nun kenne ich Leute, die eine Schreckse zu sehen kriegen, daß ihnen die Haare zu Berge stehen!»
Und hinaus in die blaue, zauberische Dämmerung des Juniabends flog die Schreckse. Lillebror blieb stehen und wußte nicht, was er machen sollte, aber dann fiel ihm etwas ein. Er rannte in Birgers Zimmer. Von dort aus konnte er die Schreckse ebenso gut ankommen sehen wie Onkel Julius und Fräulein Bock im Wohnzimmer.
Die Luft war etwas stickig, und Lillebror öffnete das Fenster. Erschaute hinaus und sah, daß das Wohnzimmerfenster auch geöffnet war — der Juninacht und der Märchenwelt Einlaß gewährend! Dort drinnen saßen jetzt Onkel Julius und Fräulein Bock und wußten nicht einmal, daß es Schrecksen gab, die armen Menschen, dachte Lillebror. Sie waren ihm so nahe, daß er ihre murmelnde Unterhaltung hören konnte — ein Jammer, daß er sie nicht sehen konnte.
Aber die Schreckse sah er. Wenn er nicht gewußt hätte, daß es Karlsson war und nicht eine richtige Schreckse, das Blut wäre ihm in den Adern gefroren, dessen war er sicher, o ja, denn es war wirklich schauerlich zu sehen, wie Schrecksen angesegelt kamen. Man war nahe daran, selbst an die Märchenwelt zu glauben, dachte Lillebror.
Die Schreckse strich ein paarmal am Wohnzimmerfenster vorbei und schaute hinein. Was sie dort sah, erstaunte sie offenbar und erregte ihr Mißfallen, denn sie schüttelte mehrmals den Kopf. Noch hatte sie Lillebror nicht im Fenster nebenan bemerkt, und der getraute sich nicht zu rufen. Aber er winkte eifrig, und da entdeckte ihn die Schreckse. Sie winkte zurück, und ihr schwarzes Gesicht erstrahlte in einem breiten Grinsen.
Onkel Julius und Fräulein Bock hatten sie offenbar noch nicht gesehen, denn ihr Murmeln und Reden klang weiterhin ganz friedlich, fand Lillebror. Aber da geschah es: Die Stille und den Frieden der Sommernacht durchschnitt plötzlich ein Schrei. Sie schrie, diese Schreckse, oh, sie schrie wie eine — ja, vermutlich wie eine Schreckse, denn der Schrei glich keinem anderen, den Lillebror je in seinem Leben gehört hatte, und es klang, als käme er geradewegs aus der Märchenwelt.
Dann war das Gemurmel im Wohnzimmer nicht mehr zu hören, es war völlig still geworden.
Doch die Schreckse flog schnellstens zu Lillebror hinein, und im Handumdrehen hatte sie das Kopftuch und den Frisiermantel heruntergerissen und ihr rußiges Gesicht an Birgers Gardinen abgewischt, und nun gab es keine Schreckse mehr, sondern bloß Karlsson, der schleunigst die Sachen und den Besen und die ganze Schreckserei unter Birgers Bett schleuderte.
«Na, weißt du», sagte Karlsson und machte ein paar ärgerliche Sätze auf Lillebror zu. «Es sollte gesetzlich verboten werden, daß alte Menschen sich so aufführen.»
«Wieso? Was haben sie denn gemacht?» fragte Lillebror.
Karlsson schüttelte entrüstet den Kopf.
«Er hat ihre Hand gehalten! Ersaß da und hielt ihre Hand! Die Hand vom Hausbock! Wie find’st du das?»
Karlsson starrte Lillebror an, als ob er dächte, Lillebror würde vor lauter Staunen ohnmächtig umfallen. Und als nichts dergleichen geschah, schnauzte Karlsson:
«Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Die saßen da und hielten sich bei der Hand! Hat man je so was Albernes erlebt?»
Karlsson wird der reichste Mann der Welt
Den Tag, der auf diesen folgte, sollte Lillebror niemals vergessen. Er
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