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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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und starrten mit einem Blick wie der eines Rindviehs auf diesen Vorgang. Als der Engel näherkam, drehten sich beide und dann auch der Fuhrmann langsam um dreißig Grad um und beobachteten sein Herannahen, ruhig und unverwandt starrend. Ihre Miene drückte unbestimmtes Interesse aus.
    Der Engel war zum erstenmal in seinem Leben eingeschüchtert. Er kam näher und versuchte einen freundlichen Ausdruck in seinem Gesicht beizubehalten, einen Ausdruck, der vergeblich den steinernen, starren Blicken zu trotzen versuchte. Die Hände hatte er hinter dem Rücken. Er lächelte freundlich und schaute neugierig auf die (für ihn) unverständliche Beschäftigung des Schmiedes. Aber die vielen auf ihn gerichteten Augen schienen nach seinem Blick zu angeln. Als er versuchte, gleichzeitig in alle drei Augenpaare zu blicken, verlor der Engel etwas an Wachsamkeit und stolperte über einen Stein. Einer der Tölpel gab ein sar

    kastisches Husten von sich, wurde aber sogleich vom fragenden Blick des Engels in Verwirrung versetzt und stieß seinen Kumpan mit dem Ellbogen an, um seine Unsicherheit zu verbergen. Keiner sagte ein Wort, und auch der Engel sagte nichts.
    Als der Engel vorüber war, summte einer der drei mit aggressivem Unterton folgende Melodie: Dann lachten alle drei. Einer versuchte, etwas zu singen und mußte feststellen, daß seine Stimme heiser war vor lauter Schleim. Der Engel setzte seinen Weg fort.
    „Wer is’ der?“ sagte der zweite Bursche.
    „Ping, ping, ping“, machte der Hammer des Schmiedes.
    „Wahrscheinlich einer von diesen Fremden“, sagte der Fuhrmann aus Upmorton. „Schaut wie ein verdammter Idiot aus.“
    „Das is’ so bei den Fremden“, sagte der erste Bursche weise.
    „Hat einen Höcker oder sowas ähnliches“, sagte der Fuhrmann aus Upmorton. „Der Teufel soll mich holen, wenn das kein Höcker war.“

    Dann breitete sich wieder heilsames Schweigen aus, und sie nahmen wieder die stille, ausdruckslose Betrachtung der sich entfernenden Gestalt des Engels auf.
    „Schaut nach ‘nem Höcker aus“, sagte der Fuhrmann nach einer endlosen Pause.

26
    Der Engel ging weiter durch das Dorf und fand alles recht erstaunlich. „Sie nehmen einen Anfang, und nach einer kurzen Weile geht es mit ihnen wieder zu Ende“, sagte er verwirrt zu sich. „Aber was machen Sie in der Zwischenzeit?“ Einmal hörte er irgendeinen unsichtbaren Mund zu der Melodie, die der Mann bei der Schmiede gesummt hatte, einen unverständlichen Text singen.
    „Das ist das arme Geschöpf, das der Vikar mit seiner großen Flinte geschossen hat“, sagte Sarah Glue (aus dem Haus Kirchensiedlung Nr.
    1) und spähte über die Jalousie.
    „Er sieht so französisch aus“, sagte Susan Hopper und spähte durch die Zwischenräume dieses für Neugierige so nützlichen Schleiers.
    „Er hat hübsche Augen“, sagte Sarah Glue, die einen Augenblick seinem Blick begegnet war.
    Der Engel schlenderte weiter. Der Briefträger ging an ihm vorbei und griff grüßend an den Hut; weiter unten schlief ein Hund in der Sonne. Er ging weiter und sah Mendham, der zurückhaltend sein Haupt neigte und vorbeieilte.

    (Der Kurat war nicht daran interessiert, dabei gesehen zu werden, wie er mit einem Engel im Dorf sprach, solange man nicht mehr über ihn wußte.) Aus einem der Häuser drang der Lärm eines zornig kreischenden Kindes, was wiederum einen verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht des Engels hervorrief. Dann erreichte der Engel die Brücke unterhalb des letzten Hauses, lehnte sich über das Brückengeländer und beobachtete den glitzernden kleinen Wasserfall, der von der Mühle herunterschoß.
    „Sie nehmen einen Anfang, und nach einer kurzen Weile geht es mit ihnen wieder zu Ende“, sagte das Wehr der Mühle. Das Wasser zischte unter der Brücke durch, es war grün und dunkel und schäumte.
    Jenseits der Mühle erhob sich der viereckige Turm der Kirche mit dem Friedhof dahinter, ein Meer von Grabsteinen und hölzernen Namenstafeln erstreckte sich den Berg hinauf.
    Ein halbes Dutzend Buchen rahmte das Bild ein.
    Dann hörte der Engel das Geräusch eines schleppenden Ganges und das Ächzen von Rädern hinter sich, und als er seinen Kopf wandte, sah er einen Mann, der in schmutzige braune Lumpen gekleidet war und einen Filzhut trug, der ganz grau vor Staub war. Dieser Mann stand da und schwankte leicht auf den Zehen hin und her und betrachtete mit starrem Blick den Rücken des Engels. Hinter ihm war noch ein Mann, fast genauso schmutzig, der

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