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Der Besuch

Der Besuch

Titel: Der Besuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.G. Wells
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einen Scherenschleiferkarren über die Brücke schob.
    „Morgen“, sagte der erste und lächelte ein wenig.
    „Gut’n Morgen.“ Er unterdrückte einen Schluckauf.
    Der Engel starrte ihn an. Er hatte nie zuvor ein wirklich albernes Lächeln gesehen. „Wer bist du?“ sagte der Engel.
    Das alberne Lächeln verschwand. „Geht dich nichts an, wer ich bin. Wünsch’ dir ‘n gut’n Morgen.“
    „Komm“, sagte der Mann mit dem Schleifstein, und ging weiter.
    „Wünsch’ dir ‘n gut’n Morgen“, sagte der schmutzige Mann in einem Ton, der äußerste Verärgerung ausdrückte. „Auf den Mund gefallen?“
    „Komm, du Schafskopf!“, sagte der Mann mit dem Schleifstein, sich entfernend.
    „Ich verstehe nicht“, sagte der Engel.
    „Nicht verstehen. Ziemlich einfach. Wünsch’
    dir ‘n gut’n Morgen. Grüßt du jetzt? Nein?
    Wünsch’ ihm ein’ gut’n Morgen. Sollst gut’n Morgen sag’n. Tut’s nicht. Werd’s dir beibringen.“ Der Engel war verwirrt. Der betrunkene Mann stand einen Augenblick schwankend da, dann tat er einen unsicheren Griff nach dem Hut und warf ihn dem Engel vor die Füße.
    „Sehr gut“, sagte er wie jemand, der schwerwiegende Entscheidungen trifft.
    „Komm jetzt!“ war die Stimme des Mannes mit dem Schleifstein zu hören, der etwa zwanzig Meter entfernt stehengeblieben war.
    „Streiten willst du, du ...“, der Engel verstand das Wort nicht. „Ich werd’ dir zeigen, was es heißt, mich nicht zu grüßen.“
    Er kämpfte mit seiner Jacke. „Glaubst du, ich bin besoffen“, sagte er, „ich werd’ dir’s zeigen.“ Der Mann mit dem Schleifstein setzte sich auf die Deichsel, um zuzusehen. „Los, komm“, sagte er. Die Jacke machte Schwierigkeiten, und der betrunkene Mann versuchte sich unter gekeuchten Verwünschungen und Drohungen zu befreien. Langsam kam dem Engel der Verdacht, obzwar noch immer sehr vage, daß diese Äußerungen nichts Gutes bedeuten konnten. „Mutter wird dich nicht wiedererkennen, wenn ich mit dir fertig bin“, sagte der betrunkene Mann, der die Jacke nun schon fast über den Kopf gestülpt hatte.

    Schließlich lag das Kleidungsstück auf der Erde, und durch die zahlreichen Löcher in dem, was einmal eine Weste gewesen war, zeigte der betrunkene Kesselflicker den aufmerksamen Augen des Engels einen gutgebauten, behaarten und muskulösen Körper. An der Stellung, die er für den Boxkampf einnahm, erkannte man den Meister.
    „Ich werd’ dir den Putz herunterhauen“, bemerkte er und tänzelte, Fäuste erhoben und Ellbogen nach außen gekehrt, vor und zurück.
    „Komm“, tönte es die Straße herunter.
    Die Aufmerksamkeit des Engels konzentrierte sich auf zwei riesige Fäuste, die hin und her schwankten, vorstießen und zurückschnellten.
    „Komm nur, sagst du? Ich werd’s dir zeigen“, sagte der Herr in den Lumpen und fügte dann wutentbrannt hinzu: „Teufel! Ich werd’ dir’s zeigen.“
    Plötzlich torkelte er vor, und gleichzeitig machte der Engel, einem völlig neuen Instinkt folgend, einen Arm zur Abwehr erhoben, einen Schritt zur Seite, um ihm auszuweichen. Die Faust verfehlte die Schulter des Engels um Haaresbreite, und der Kesselflicker brach, das Gesicht am Brückengeländer, zusammen.
    Einen Augenblick lang zögerte der Engel über dem sich krümmenden, fluchenden Haufen, dann wandte er sieh dem Kumpan des Mannes zu, der oben an der Straße stand. „Laß mich aufstehn“, sagte der Mann auf der Brücke.
    „Laß mich nur aufstehn, du Schwein. Ich werd’s dir zeigen.“
    Ein seltsames Gefühl von Ekel, ein Widerwille, der ihn beben machte, überkam den Engel.
    Er entfernte sich langsam von dem Trunkenbold und ging zu dem Mann mit dem Schleifstein.
    „Was bedeutet das alles?“ sagte der Engel.
    „Ich verstehe das nicht.“
    „Verdammter Narr! ... sagt, er hat seine Silberne Hochzeit“, antwortete der Mann mit dem Schleifstein, der offenbar sehr verärgert war; und rief dann mit wachsender Ungeduld wieder die Straße hinunter: „Komm endlich!“
    „Silberne Hochzeit!“ sagte der Engel. „Was ist eine Silberne Hochzeit?“
    „Bloß Quatsch von ihm“, sagte der Mann auf dem Karren. „Aber er hat immer solche Ausreden. Hängt einem zum Hals heraus, so was.
    Letzte Woche ist es sein verfluchter Geburtstag gewesen, und war kaum ausgenüchtert von einem Höflichkeitstrunk auf meinen neuen Karrn! (Komm schon, du Idiot!)“
    „Aber ich verstehe nicht“, sagte der Engel.
    „Warum schwankt er so herum? Warum versucht er

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