Der Besucher - Roman
bleiben und auf sie warten wolle? Ich war enttäuscht, dass ich sie verpasst hatte, und da ich vor meiner Abendsprechstunde noch etwas Zeit hatte, willigte ich ein zu bleiben. Betty verschwand, um unseren Tee vorzubereiten, und ich nahm ihren Platz am Damebrett ein und spielte ein paar Partien.
Doch Mrs. Ayres war nicht recht bei der Sache und verlor einen Stein nach dem anderen. Und als das Spielbrett zur Seite gestellt worden war, um Platz für das Teetablett zu schaffen, saßen wir in beinahe völliger Stille beieinander; es schien kaum etwas zu sagen zu geben. Sie hatte im Laufe der letzten Wochen ihren Gefallen am ländlichen Klatsch verloren; ich kramte ein paar Anekdoten hervor, und sie hörte höflich zu, doch ihre Antworten – sofern sie überhaupt erfolgten – waren zerstreut oder seltsam verzögert, als würde sie gleichzeitig die Ohren spitzen, um einem weit entfernten, fesselnderen Gespräch in einem der Nachbarzimmer zu lauschen. Schließlich war mein kleiner Fundus an Anekdoten endgültig aufgebraucht. Ich erhob mich, trat an die Terrassentüren und betrachtete die schneeglänzende Landschaft. Als ich mich wieder zu Mrs. Ayres umwandte, rieb sie sich die Arme, als sei ihr kalt.
»Ich fürchte, ich bin eine ziemlich langweilige Gesellschaft für Sie, Herr Doktor«, sagte sie. »Ich möchte mich entschuldigen. Das kommt davon, wenn man so lange in der Stube hockt. Sollen wir ein bisschen in den Garten hinausgehen? Vielleicht begegnen wir dann auch Caroline.«
Ich war verwundert über ihren Vorschlag, freute mich aber über die Gelegenheit, das stickige Zimmer zu verlassen. Ich holte ihr selbst ihre Überbekleidung und vergewisserte mich, dass sie auch warm genug angezogen war, dann zog ich meinen Mantel und Hut an, und gemeinsam gingen wir zur Vordertür hinaus. Wir mussten einen Moment lang innehalten, bis sich unsere Augen an das strahlende Weiß gewöhnt hatten, doch dann hängte sie sich bei mir ein, wir gingen langsam um das Haus herum und schlenderten gemächlich über die Rasenfläche auf der Westseite.
Der Schnee bedeckte den Boden wie eine weiche Schaumschicht, fast seidig anzusehen, doch unter den Füßen war er spröde und erstaunlich fest. An einigen Stellen wurde er durch Vogelspuren unterbrochen, die wie gezeichnet aussahen, und bald entdeckten wir auch größere Spuren: die hundeähnlichen Abdrücke herumschleichender Füchse. Wir folgten den Spuren ein, zwei Minuten lang; sie führten uns zu den ehemaligen Nebengebäuden. Dort war die verzauberte Atmosphäre sogar noch deutlicher zu spüren: Die Uhr über dem Stall stand immer noch auf zwanzig vor neun, in dieser makaberen Anspielung auf Dickens; die Stalltüren waren ordentlich verriegelt, die Ställe selbst verfügten noch über all ihre Einrichtungen, wenngleich alles dick mit Spinnweben und Staub überzogen war. Fast rechnete man damit, beim Blick durch die Fenster eine Reihe schlafender Pferde vorzufinden, gleichfalls bedeckt von Spinnweben. Neben den Stallungen war die Garage, durch deren halb geöffnete Tür man gerade eben die Motorhaube des Rolls-Royce sehen konnte. Die Spuren des Fuchses verloren sich im dahinterliegenden Buschgewirr. Doch unser Spaziergang hatte uns fast bis an die ehemaligen Küchengärten geführt; also schlenderten wir gemächlich weiter und gingen durch den Torbogen in der hohen Ziegelmauer.
Im letzten Sommer hatte Caroline mich durch diese Gärten geführt. Nun, wo das Leben im Haus so beeinträchtigt war, wurden sie kaum mehr genutzt und schienen mir der einsamste und melancholischste Ort im ganzen Park zu sein. Ein oder zwei Beete wurden von Barrett noch relativ gut in Schuss gehalten, doch in anderen Bereichen, die einmal sehr hübsch gewesen sein mussten, hatten die Soldaten während des Krieges das Gemüse ausgegraben, und seitdem waren die Beete ohne entsprechende Pflege immer mehr verwildert. Brombeersträucher rankten durch die kaputten Glasdächer der Gewächshäuser, und Nesseln überwucherten die aschebestreuten Pfade. Hier und dort standen noch versprengte große Bleitöpfe, riesige Untertassen auf schmalen Stielen, die sich wie beschwipst vornüberneigten, wo das Blei der Sommerhitze nachgegeben hatte.
Wir schlenderten von einem verwahrlosten ummauerten Garten zum nächsten.
»Ist es nicht ein Jammer!«, sagte Mrs. Ayres leise. Ab und zu blieb sie stehen, um eine Pflanze vom Schnee zu befreien oder einfach nur um sich zu blicken, als wollte sie sich die Szenerie einprägen. »Mein
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