Der Besucher - Roman
Betty senkte den Kopf und machte mit ihrer Arbeit weiter, und während ich die Limonade einschenkte, trat Mr. Baker-Hyde zu mir.
»Ziemlich eigenartiger Ort hier, nicht wahr«, murmelte er mit einem Seitenblick auf die anderen Gäste. »Offen gestanden habe ich mich über die Einladung vor allem gefreut, weil es mir die Gelegenheit gibt, mich hier mal ein bisschen umzuschauen. Sie sind der Hausarzt der Familie, nehme ich an. Die haben Sie bestimmt gerne auf Abruf, schon wegen dem Sohn, oder? Mir war gar nicht klar, dass er so schlecht beisammen ist.«
Ich sagte: »Das ist er eigentlich auch gar nicht. Ich bin heute Abend bloß als Gast hier, genau wie Sie.«
»Tatsächlich? Oh, ich hatte den Eindruck, dass Sie wegen dem Sohn hier wären. Ich weiß auch nicht wieso … Aber ziemlich scheußliche Geschichte, nach allem was ich gehört habe. Mit Narben und so weiter. Er ist wohl nicht gern unter Leuten, was?«
Ich erwiderte ihm, dass Roderick sich, soweit ich wüsste, sehr auf den Abend gefreut hätte, doch dass er sich zu viel Arbeit auf dem Hof zumuten würde und sich dabei offenbar überanstrengt hätte. Mr. Baker-Hyde nickte ohne echtes Interesse. Er schob seine Manschette zurück, warf einen Blick auf seine Uhr und meinte dann mit halb unterdrücktem Gähnen:
»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich mein Trüppchen wieder zurück nach Standish fahre – vorausgesetzt natürlich, ich kann meinen Schwager endlich von diesem verrückten Klavier loseisen.« Er blickte mit zusammengekniffenen Augen zu Mr. Morley hinüber. »Sind Sie schon mal einem solchen Wichtigtuer begegnet? Aber wegen ihm sind wir hier! Meine Frau, Gott segne sie, ist wild entschlossen, ihn zu verheiraten. Sie und unsere Gastgeberin haben sich diese ganze Veranstaltung ausgedacht, um ihn mit der Tochter des Hauses bekannt zu machen. Also, ich habe schon nach zwei Minuten gesehen, dass da nichts bei rauskommen kann. Tony ist zwar selbst ein hässlicher kleiner Fiesling, aber ein hübsches Gesicht hat er trotzdem ganz gern …«
Er sprach ganz ohne Boshaftigkeit, einfach so, von Mann zu Mann. Er sah Caroline nicht, die von ihrem Platz neben dem Kamin zu uns herüberschaute; er verschwendete auch keinerlei Gedanken an die Akustik des ungewöhnlich geformten Raumes, die dazu führte, dass sich leises Gemurmel manchmal im ganzen Raum verteilte, während lautere Bemerkungen untergingen. Er trank sein Glas leer und stellte es ab, dann nickte er seiner Frau zu, die gerade mit Gillian zurückgekehrt war. Es war deutlich, dass er nur auf eine geeignete Pause in der Unterhaltung wartete, um sich zu verabschieden und mit seiner Familie nach Hause zu fahren.
Und dann kam einer dieser Momente, an die ich mich in den folgenden Monaten immer mit Bedauern, ja fast mit Schuldgefühlen, erinnern sollte. Denn wie leicht hätte ich etwas tun können, um sein Weggehen zu beschleunigen – stattdessen tat ich das Gegenteil. Mr. und Mrs. Rossiter hatten gerade ein weiteres von Rodericks Jugendabenteuern zum besten gegeben, und obwohl ich mit ihnen den ganzen Abend bisher kaum ein Wort gewechselt hatte, rief ich ihnen nun auf dem Weg zu Miss Dabney eine Frage zu, irgendetwas völlig Belangloses wie: »Und was hat der Colonel dazu gesagt?«, was sie gleich zu einem weiteren Ausflug in die Vergangenheit veranlasste. Mr. Baker-Hydes Miene verzog sich enttäuscht, worüber ich mich geradezu kindisch freute. Ich verspürte den unsinnigen, fast gehässigen Drang, ihm das Leben schwer zu machen.
Doch ich wünschte bei Gott, ich hätte mich anders verhalten, denn nun geschah etwas Schreckliches mit seiner kleinen Tochter Gillian.
Seit ihrer Ankunft hatte sie auf ziemlich monotone Weise eine Art gespielte Angst vor Gyp zur Schau gestellt. Demonstrativ hatte sie sich jedes Mal hinter ihrer Mutter versteckt, wenn der Hund bei seinen freundlichen Wanderungen durch den Saal in ihre Nähe kam. Erst vor kurzem hatte sie ihre Taktik geändert und startete nun kleine Annäherungsversuche bei Gyp. Mr. Morleys dissonantes Herumgeklimper auf dem Cembalo machte den Hund offenbar nervös, und er hatte sich zu einem der Fenster geflüchtet und es sich hinter einem Vorhang bequem gemacht. Gillian verfolgte ihn dorthin, zog einen Hocker heran und fing an, ihn zu tätscheln und ihm den Kopf zu streicheln. Dabei plapperte sie in einem fort: » Braver Hund. Ein ganz braver Hund bist du. Du bist aber ein tapferer Hund«, und ähnlichen Unsinn. Drüben beim Fenster war sie teilweise
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