Der Beutegaenger
Minuten. Ich sage dir, irgendwann explodiert sie und ... Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
Hedi Apsner war mit der Zeitung an die Empfangsthekezurückgekehrt und überflog mit ernster Miene den Artikel, den sie gesucht hatte. »Hier steht es schwarz auf weiß«, sagte sie. »Bei seinem ersten Opfer hat der Täter eine Chrysantheme hinterlassen. Und die Frau wurde am siebzehnten Oktober getötet.«
Johanne Hallenberg, die unterdessen wieder auf dem Hocker Platz genommen und ihre vollendet geformten Beine mit geradezu erschreckender Geschmeidigkeit um dessen Füße geschlungen hatte, bedachte sie mit einem Blick, der zugleich Unverständnis und Nachsicht spiegelte. »Na und?«
»Und am fünfundzwanzigsten Oktober hat der neue Spinning-Kurs begonnen.«
Die Trainerin runzelte die Stirn. »Was soll’n der neue Spinning-Kurs jetzt wieder damit zu tun haben?«
Hedi Apsner schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich weiß noch nicht, was das alles zu bedeuten hat. Aber ich bin mir sicher, dass am achtzehnten Oktober – also einen Tag nach dem Mord – ein großer Strauß Chrysanthemen im Studio gestanden hat.«
»Hier?«, fragte Johanne Hallenberg und blickte sich ungläubig um.
Hedi Apsner nickte. »Ich weiß das Datum deshalb so genau, weil dieses verdammte Spinning falsch eingetragen war«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme. »Ich sage dir, das war vielleicht ein Ärger! Andauernd hat jemand danach gefragt ... nach dem Kurs, meine ich. Und du weißtja, wie die Leute sind. Manche sind einfach gekommen und haben sich dann natürlich fürchterlich aufgeregt, als ich ihnen sagen musste, dass der Kurs erst am fünfundzwanzigsten beginnt.« Sie schnappte nach Luft. »Es war nämlich eine Woche zu früh, verstehst du?«
»Kein einziges Wort«, seufzte Johanne Hallenberg und warf einen Blick in den Kalender auf dem Tresen, als sei dort der Weisheit letzter Schluss verborgen.
»Jemand hat Chrysanthemen hier ins Studio gestellt«, wiederholte Hedi Apsner dezidiert. »Einen Tag nach dem Mord an einer jungen Frau, bei deren Leiche der Täter eine Chrysantheme als Souvenir zurückgelassen hat.« Sie sah die Trainerin an. »Zuerst haben wir ja gedacht, dass jemand Geburtstag hat, weißt du, aber dann würde man doch wiederum keine Chrysanthemen nehmen. Ich meine, das sind doch im Grunde Blumen für den Friedhof, nicht wahr?« Sie vergewisserte sich, dass keine Lauscher in der Nähe waren, bevor sie bedeutungsvoll hinzufügte: »Totenblumen.«
Johanne Hallenberg schüttelte den Kopf und strich sich in wachsender Verwirrung über ihren sorgfältig gegelten Kurzhaarschnitt. »Wovon zum Henker redest du bloß?«
»Ich hätte das Ganze vielleicht längst vergessen, wenn die Siemssen nicht so ein Theater darum gemacht hätte«, sprudelte Hedi Apsner weiter, ohne auf die Frage der Trainerin einzugehen. »Aber als sie kam und die Chrysanthemen gesehen hat, ist sie kreidebleich geworden und hat herumgeschrien, was das soll und wer die Blumen da hingestellt hat und so weiter. Und dann hat sie sie in die Mülltonne geworfen. Den ganzen Strauß!« Sie machte eine wohlbedachte Pause. »Was hältst du davon?«
Johanne Hallenberg dachte eine Weile nach. »Ich denke, du solltest zur Polizei gehen«, sagte sie schließlich und griff wieder nach ihrer Tasse, in der der Milchschaum inzwischen zu einer schlammigen graubraunen Masse zerfallen war.
»Meinst du wirklich?« Hedi Apsner machte ein zweifelndes Gesicht. »Ich meine, es ... Es muss ja auch gar nichts bedeuten.«
»Aber wenn es was bedeutet . ..«
Hedi Apsner seufzte. »Ja«, sagte sie. »Vielleicht hast du recht.«
In der Telefonzentrale des Polizeipräsidiums massierte sich Kriminalobermeister Bernd Zürl die Nackenmuskulatur. Er war Hobby-Basketballer und hatte sich bei einem Regionalligaspiel am vergangenen Wochenende an der Schulter verletzt. Seither wurde er die stechenden Schmerzen, die bis in den Kopf ausstrahlten, einfach nicht mehr los. Vermutlich war irgendwo ein Nerv eingeklemmt. Er neigte den Kopf, bis der Schmerz unerträglich wurde. Es war wahrscheinlich das Beste, wenn er einen Arzt konsultierte.
Er stand auf und holte sein Mittagessen, ein belegtes Brötchen mit Salami und Käse, aus dem Kühlschrank im Nebenzimmer. Den ganzen Vormittag hatte das Telefon nicht stillgestanden. Wie immer, wenn ein Fall in der Presse aufgebauscht wurde, schienen die Leute nichts Besseres zu tun zu haben, als bei der Polizei anzurufen. Sie stellten neugierige Fragen zum Stand
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