Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
letztes Mal. Seine Hand, die sich um den Knauf seines Stockes krampfte, war weiß und durchsichtig. Der Ärger, nicht voranzukommen, ließ sein Herz schneller schlagen und die Adern hervortreten. Du darfst nicht dagegen an , hörte er die Stimme seiner Frau. Dagegen an zu wollen macht es nur schlimmer . Er betrachtete seine Hand, als gehöre sie nicht zu ihm. Er war zeit seines Lebens ein ungeduldiger Mensch gewesen. Seit er denken konnte, hatte er in dem Gefühl gelebt, mit allem und jedem fertig werden zu können, solange er die Kontrolle über sein Handeln, seine Entscheidungen behielt. Doch dann war er an Parkinson erkrankt, und die Krankheit hatte die Kontrolle über sein Leben an sich gerissen. Zögerlich zuerst, dann immer nachdrücklicher. Sie hatte ihn ausgelacht und seine Bemühungen, sich mit ihr anzulegen, ihr irgendwie Herr zu werden, mit zunehmenderStrenge abgestraft. Sie schrieb ihm vor, wann er das Haus, die Wohnung, das Bett verlassen konnte, wann er stehen bleiben musste und wann er weitergehen durfte. Wenn der Mensch aus seinen Krankheiten lernen soll, ist Parkinson vermutlich die schwierigste Aufgabe, die das Schicksal für mich bereithalten konnte, dachte er. Vielleicht auch diejenige, die am besten zu dir passt, entgegnete seine Frau hinter seiner Stirn.
    Er schüttelte den Kopf und spürte auf einmal, wie die Blockade sich löste. Endlich! Er reckte sich vor. Wollte weiter. Nach unten. Zu den Zeitungen mit den neuen, beruhigenden Informationen.
    Sein Fuß machte einen Schritt vorwärts.
    Zu schnell. Alois Breidstettner geriet ins Trippeln. Merkte, wie er stolperte. Sein Körper fiel nach vorn. Verzweifelt bemühte er sich, einen Halt zu finden. Irgendwo. Doch das Gummi an der Stockspitze rutschte über die Kante der nächsten Stufe. Die freie Hand tastete nach dem Geländer. Aber er war nicht schnell genug und stürzte kopfüber in ein schwarzes, bodenloses Nichts.
     
     
     
    »Die Sachen haben da unten gelegen. Hinter den Büschen.«
    Verhoevens Blick folgte dem nackten, überaus kräftigen Arm, an dem die Sehnen deutlich hervortraten, bis zu einer kahlen Buschgruppe in etwa hundert Meter Entfernung. »Und was hatten Sie dort unten zu suchen?«
    »Ich pinkel, wo’s mir passt«, entgegnete der Fernfahrer. Verhoeven nickte und sah sich nach den Kollegen des örtlichen Erkennungsdienstes um.
    »Wurde nur abgedeckt«, bemerkte sein Gesprächspartner.
    »Bitte?« Ein böiger Wind fegte über den Rastplatz. Verhoeven kniff die Augen zusammen. Irgendwo in seinem Nacken krampfte ein Muskel. »Was meinen Sie?«
    »Wurde nich’ vergraben, mein ich«, brummte der Trucker achselzuckend. »Aus’n Einbruch, ja?«
    »Etwas in dieser Art«, antwortete Verhoeven ausweichend. »Haben Sie hier sonst noch irgendetwas Verdächtiges bemerkt?«
    Der Fahrer schüttelte den Kopf, und Verhoeven ging den Hang hinunter. Er fror, obwohl es eigentlich nicht kalt war. Aus der Nähe betrachtet, sahen die Sträucher aus, als wollten sie bereits wieder austreiben. Verhoeven schob ein paar Äste beiseite und blieb neben der schwarzen Plastikplane stehen, auf der die örtlichen Kollegen Isolde Reisingers Sachen ausgebreitet hatten. Sie schienen komplett zu sein. Verhoeven betrachtete den Schmuck, den Mantel, das Schachspiel.
    »Hilft Ihnen das weiter?«, erkundigte sich einer der Kriminaltechniker, die den Fund sichergestellt hatten.
    Verhoeven nickte. »Ich denke schon«, sagte er. »Unser Täter wollte das Zeug so schnell wie möglich loswerden. Einerseits musste er den ganzen Kram mitgehen lassen, damit wir an das Märchen vom Einbruch glauben, andererseits hatte er natürlich keine Ahnung, wo er damit hinsollte. Also schmeißt er das Zeug hier in die Büsche und hofft, dass es nicht so bald gefunden wird.« Er drehte sich nach der massigen Silhouette des Fernfahrers um, die sich gegen den fahlen Himmel abzeichnete. Der Mann wird erst gehen, wenn wir fort sind, dachte er. »Aber zum Glück gibt es Leute, die ungern Toiletten benutzen.«
    »Sie können die Sachen mitnehmen und von Ihren Leuten noch genauer untersuchen lassen«, sagte der Einsatzleiter mit einem leisen Lächeln. »Ich würde allerdings bezweifeln, dass viel dabei herausspringen wird.«
    »Garantiert nicht«, entgegnete Verhoeven. »Aber wenigstens bestätigt der Fund eine Theorie, für die wir bislang keinerlei Beweise hatten.« Er sah abermals nach den Sträuchern, die dem herannahenden Winter mit ihren knospenden Zweigen ins Gesicht lachten, und fühlte

Weitere Kostenlose Bücher