Der Beutegaenger
gesagt hatte, er nehme sie alle, hatte sich die Verkäuferin viel Mühe gegeben. Wahrscheinlich war sie froh gewesen, sie auf einen Schlag loszuwerden. Eine nach der anderen hatte sie sie in einen großen Karton gesetzt, Luftlöcher im Deckel. Dabei hatte sie pausenlos geredet. Über das geeignete Futter, den Käfig, die Lebenserwartung. Er hatte sie angelächelt. Zumindest über diesen letzten Punkt hätte sie sich wirklich keine Gedanken zu machen brauchen!
Im Schilf neben ihm schnatterte eine Ente. Ein leiser Wind hauch kräuselte die Wasseroberfläche. Es war nicht ungefährlich herzukommen, schon jetzt herzukommen, aber es ging nicht anders. Es sollte, es musste alles perfekt sein. Stimmig. Das richtige Ambiente. Das richtige Wasser in den kleinen Lungen. Falls sie sich die Mühe machten, sie zu obduzieren. Und die Zoohandlung, in der er sie gekauft hatte, war mehr als dreihundert Kilometer entfernt. Es würde ihnen niemals gelingen, eine entsprechende Verbindung herzustellen.
Er sah sich noch einmal genau um. Dann nahm er den Sack und tauchte ihn mit beiden Händen tief unter Wasser. Sie rangen verzweifelt um ihr bisschen Leben. Er fühlte es an der Art, wie sie sich bewegten. Oh ja, die kleinen Biester kämpften verbissen gegen den unaufhaltsam nahenden Tod an. Aber es nützte ihnen nichts. Es war ihnen bestimmt, zu sterben. Fast schien es ihm, ihren Atem hören zu können. Das verzweifelte Pumpen ihrer winzigen Herzen. Die CO2-Anreicherung im Blut würde eine Reizung ihres Atemzentrums bewirken. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie das kühle Wasser in die kleinen Körper einströmte, wie es von den Alveolarwänden resorbiert wurde, wie sich innerhalb kürzester Zeit ihr Blutvolumen verdoppelte und wie sich dann unter den krampfhaften Atembewegungen winzige Schaumpilze vor ihren kleinen Schnäuzchen bildeten, bis sie schließlich buchstäblich von innen heraus platzten.
Obwohl er längst keine Bewegung mehr fühlte, hielt er den Sack unter Wasser gedrückt, bis er ganz sicher war, dass keine Luftblasen mehr daraus emporstiegen.
Bernadette Evershagen liebte Nachtdienste. Sie schätzte nicht nur die Ruhe, die nach zweiundzwanzig Uhr auf der Station herrschte, sondern auch das Gefühl, Hüterin der Menschen zu sein, die in den Zimmern rechts und links von ihr schliefen. Keine hektisch umherlaufenden Kollegen, keine schlecht gelaunten Ärzte, keine Besucher, die Vasen für ihre Blumensträuße suchten, nur hier und da ein Infusionsbeutel zu wechseln oder ein neues Medikament anzuhängen. Da blieb genügend Zeit, ein gutes Buch zu lesen und seinen Gedanken nachzuhängen.
Sie nahm den Teebeutel aus ihrer Tasse, drückte ihn sorgfältig aus und warf ihn in den Mülleimer hinter sich. Pfefferminz. Drei Stückchen Würfelzucker. Ein probates Mittel gegen Schläfrigkeit. Eine der Neonröhren an der Decke flackerte unruhig, doch dadurch fühlte sie sich nicht gestört. Sie griff wieder nach ihrem Liebesroman und wollte eben zu lesen beginnen, als ein rotes Lämpchen auf ihrem Kontrollmonitor zu blinken begann. Zimmer 271. Wahrscheinlich der Frischoperierte. Die Schenkelhalsnagelung. Ein pensionierter Lehrer. Erst seit ein paar Stunden wieder auf Station. Bestimmt wollte er einfach wissen, wo er war.
Sie erhob sich ohne Hast, ging den verwaisten Flur hinunter und betrat das Zimmer mit der Nummer 271. Der Schenkelhals lag in dem Bett, das gleich neben der Tür stand, und hatte die Augen geöffnet. Seine Gesichtszüge wirkten starr und maskenhaft. Aus dem Krankenblatt wusste sie, dass der Patient an Parkinson litt. Er sah mitgenommen aus. Kein Wunder. Er hatte einen schweren Sturz und eine nicht eben leichte Operation hinter sich. Erstaunlich, dass er das alles überhaupt einigermaßen gut überstanden hatte. Seine Augen waren von einem sehr hellen Graublau und lagen tief in den Höhlen. Als er sie bemerkte, öffnete er die Lippen, um etwas zu sagen, doch aus seiner Kehle drang nur ein heiseres Röcheln.
»Sie sind im Krankenhaus«, erklärte sie ihm und schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Sie sind eine Treppe hinuntergestürzt und mussten operiert werden. Aber es ist alles gut verlaufen. Ein Arzt wird Ihnen morgen früh alles genau erklären.«
Der alte Herr bewegte seine linke Hand und setzte erneut zum Sprechen an.
»Sie sollten noch nicht reden«, flüsterte Bernadette Evershagen. »Ruhen Sie sich erst einmal aus.«
Die Hand hob sich. Offenbar kostete jede Bewegung den Patienten eine enorme
Weitere Kostenlose Bücher