Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Ausgang sie benutzte.
    »Ich könnte Sie mitnehmen.« Sie konnte seinen Atem riechen. Jeder Muskel ihres Körpers zog sich zusammen.
    »Nicht nötig«, entgegnete sie kühl und versuchte, rechts seitlich an ihm vorbeizukommen. Aber natürlich stand er so, dass sie ihn dabei berühren musste.
    »Es macht mir nichts aus.« Sein Gesicht war jetzt ganz nah an ihrem.
    Sie hielt die Luft an und drängte sich entschlossen an ihm vorbei. »Nein«, sagte sie, ohne sich nach ihm umzusehen. Dann rannte sie die beiden Treppen zum Hauptausgang hinunter. Den Lift mied sie, seit er einmal aus dem Nichts aufgetaucht war, nachdem sich die Türen schon fast geschlossen hatten.
    In der Eingangshalle winkte die Pförtnerin sie zu sich heran.
    Anna-Lena Kluger folgte dem Wink nur widerwillig. Wahrscheinlich wollte die hypochondrische Schnepfe schon wieder über diese Blasenentzündung reden, von der sie in der kalten Jahreszeit regelmäßig heimgesucht wurde, weil ihr Stressjob an der Pforte sie so sehr in Anspruch nahm, ein Job, den sie nie hätte annehmen müssen, wenn ihr verweichlichter Ehemann ein wenig mehr Ehrgeiz und Einsatzfreude gezeigt hätte, um in seiner Firma die Position zu bekleiden, für die das Schicksal ihn zweifellos vorgesehen hatte. »Tut mirleid«, rief sie durch das ovale Loch in der Glasscheibe. »Ich bin fürchterlich in Eile. Ich muss meinen Bus erwischen.«
    »Vergiss es«, hustete die Pförtnerin und fegte Anna-Lena Klugers Entschuldigung mit einer abfälligen Handbewegung vom Tisch. »Hübner hat gerade durchgerufen: Du sollst sofort wieder raufkommen. Die Zahlen aus Württemberg sind jetzt da.«
    Anna-Lena stöhnte. Diese Sache würde mit Sicherheit ein paar Stunden in Anspruch nehmen. Während sie schicksalsergeben die Treppen hinaufstieg, zog sie ihr Handy aus der Tasche, um ihren Eltern Bescheid zu geben, dass sie Überstunden machen musste.
     
     
     
    Verhoeven fand Winnie Heller auf dem Dach. Sie stand am Geländer, die nackten Unterarme auf den kalten Stahl gestützt, und blickte den blinkenden Lichtern eines Flugzeugs nach. Über ihren Köpfen war der Himmel bereits nachtschwarz, nur über den Hügeln im Westen lag noch ein letzter bläulicher Schimmer der untergegangenen Sonne. Inmitten der Dunkelheit leuchteten matt die ersten Sterne. Trotzdem roch es bereits nach dem Schnee, den der Wetterbericht für die nächsten Tage angekündigt hatte. Den ersten Schnee des Jahres.
    Verhoeven trat neben seiner Kollegin ans Geländer und entdeckte eine ferne Lichterkette, die in regelmäßigen Abständen die Farbe wechselte und ihn daran erinnerte, dass er sich bald Gedanken über Ninas Weihnachtsgeschenk machen musste. Ein Experimentierkasten vielleicht. Oder eine von diesen CDs, die einem die Welt erklärten. Kinder-Uni. Ja, dachte er, das würde ihr bestimmt Spaß machen.
    Er betrachtete Winnie Hellers Hände, die aus den Ärmeln ihres Pullovers hervorlugten und halb erfroren aussahen. »Sie werden sich erkälten«, stellte er sachlich fest.
    »Möglich.« Sie sah ihn nicht an. Ihre Gesichtszüge waren zur Maske erstarrt.
    Sie hat Angst, dachte er, aber sie duckt sich nicht. Das gefiel ihm an ihr. Ihre Furchtlosigkeit und ihr wacher Blick. Schon vorhin, als sie mit hochrotem Kopf aus dem Raum gestürmt war, war ihm klar geworden, dass er sie nicht verlieren durfte. Dass er sie sogar irgendwie mochte mit ihrer resoluten Kompromisslosigkeit und ihrer ganz eigenen Denkweise. Und dass es sich für sie beide lohnen konnte, wenn sie es weiter miteinander versuchten.
    Von der Straße drang gedämpfter Verkehrslärm herauf.
    »Bin ich gefeuert?«, fragte Winnie Heller in die Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. Ihre Stimme klang belegt, aber sie fragte es geradeheraus.
    »Wieso sollten Sie gefeuert sein?«
    »Tj a, eine glatte Eins in Psychologie«, entgegnete sie mit ausdrucksloser Miene. »Aber mit dem Sozialverhalten der Kandidatin ist es nicht besonders weit her, was?«
    »Ich fürchte, das trifft wohl eher auf mich zu.« Verhoeven lächelte und reichte ihr die Zehner-Packung Taschentücher, die er besorgt hatte. »Den passenden Schreibtisch dazu bekommen Sie in den nächsten Tagen. Ich habe ihn eben bestellt.«
    Jetzt sah sie doch auf. »Ich wollte nicht . . .«, setzte sie an, doch er unterbrach sie gleich wieder.
    »Ich weiß«, sagte er. Mehr wagte er nicht. Nicht zu diesem Zeitpunkt.
    Sie zuckten beide zusammen, als ein Stück hinter ihnen unvermittelt die Tür zum Treppenhaus

Weitere Kostenlose Bücher