Der Beutegaenger
ist wegen einer Sportverletzung krankgeschrieben.« Sie drehte sich um und nahm ihren Parka von der Stuhllehne. »Ich verstehe meinen Job«, sagte sie mit Nachdruck. »Und der einzige Fehler, den ich in den letzten Wochen gemacht habe, ist, kein gottverdammter Held zu sein.« Sie riss ihre Jacke an sich und stürzte zur Tür. »Aber das war Ihr hochheiliger Grovius auch nicht, nach allem, was man so hört. Kein Held und genau genommen nicht mal ein untadeliger Bulle.«
Er starrte sie an, fassungslos über den emotionalen Amoklauf, den er ganz offenbar ausgelöst hatte. »Wie meinen Sie das?«
»Jeder in diesem Scheißpräsidium könnte Ihnen verraten,wie ich das meine, wenn Sie es denn hören wollten«, versetzte sie, und das Ausmaß an Schmerz in ihrer Stimme erschreckte Verhoeven ebenso sehr wie die düsteren Andeutungen, die sie ihm da gerade ins Gesicht geschleudert hatte. »Ihr . . .«, ihre Lippen formten das Wort mit einer Mischung aus Abscheu und Genuss. »... Gott war ein selbstgefälliges Arschloch, das sämtliche Regeln, die in diesem Scheißpräsidium herrschen, nach seinem Gusto ausgelegt und dabei mehr als einmal Fünfe gerade sein lassen hat.« In ihren Augen lag ein gefährliches Funkeln. »Also hören Sie gefälligst endlich auf, den Kerl zu etwas hochzustilisieren, das er nie gewesen ist«, fügte sie tonlos hinzu. Dann knallte sie die Tür hinter sich ins Schloss.
»Ach, du liebe Zeit, was ist denn hier los?«, erkundigte sich Bredeney, der im selben Augenblick durch die Verbindungstür trat.
»Nichts«, entgegnete Verhoeven gereizt.
»Klang aber ...«
»Ich sagte, es war nichts.«
»Okay, okay.« Er hob abwehrend die Hände. »Ich mische mich da nicht ein. Aber nach allem, was ich bis jetzt von ihr gesehen und gehört habe, ist sie eine gute Polizistin. Vergiss das nicht.« Als Verhoeven nicht reagierte, setzte er seufzend hinzu: »Übrigens wissen wir jetzt, wer diese ominösen Chrysanthemen auf die Theke des Studios gestellt hat.«
»Wirklich?« Verhoeven blickte auf. Er fühlte sich wie paralysiert von dem, was soeben zwischen ihm und seiner Partnerin vorgefallen war, und hatte Mühe, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
»Die Blumen lagen am Tag nach dem Leistner-Mord auf der Fußmatte vor dem Eingang zum Studio«, erklärte Bredeney und fingerte einen kleinen Notizblock aus der Innentasche seines Tweedjacketts. »Die Putzfrau kommt jeden Morgen gegen vier Uhr dreißig und arbeitet dann etwa drei Stundenlang. Sie dachte, die Blumen seien ein Geschenk für eine der Mitarbeiterinnen, und weil sie schon ein wenig die Köpfe hängen ließen, hat sie sie in eine Vase gestellt.«
»Waren sie eingepackt?«
Bredeney schüttelte den Kopf. »Und es war auch keine Karte dabei.«
»Wer immer die Chrysanthemen gebracht hat, muss also nicht zwingend einen Schlüssel zum Studio gehabt haben«, resümierte Verhoeven, froh, nicht länger über das nachdenken zu müssen, was Winnie Heller gesagt hatte. Würde er jemals wagen, sie zu fragen, was genau sie über Grovius gehört hatte? Und von wem?
»Schließt das nicht automatisch aus, dass dieser Einbruch vom letzten Sommer etwas mit der Sache zu tun hat?«, fragte Bredeney. »Immerhin hingen damals die Ersatzschlüssel an einem Brett hinter der Empfangstheke. Der Täter hätte also leicht Kopien davon machen können, wenn er vorgehabt hätte, noch einmal zurückzukommen.«
Verhoeven schüttelte energisch den Kopf. »Die Siemssen hat nach dieser Einbruchsgeschichte alle Schlösser austauschen lassen«, sagte er. »Das beweist gar nichts.«
Er war immer dann da, wenn sie es am wenigsten erwartete. Sie schaffte es einfach nicht, ihm zu entkommen, obwohl sie sich bemühte, nicht allzu berechenbar zu sein. Aber natürlich kannte er ihre Arbeitszeiten, wusste, wann ihre Pausen waren und dass sie jeden Abend auf den Bus warten musste.
»Nehmen Sie wieder den Bus?«, erkundigte er sich soeben wenig originell und berührte dabei wie zufällig ihren Arm.
Vielleicht würde es besser werden, wenn sie sich endlich ein eigenes Auto leisten konnte. Den Führerschein hatte sie schon vor drei Jahren gemacht, gleich nachdem sie achtzehn geworden war. Mit einem eigenen Auto würde sie selbst bestimmen können, wann sie nach Hause fuhr. Dann würde es nicht mehr auf fünf Minuten ankommen. Aber bis dahin würde er wahrscheinlich weiterhin jeden Abend plötzlich von irgendwoher auftauchen und sie auf diese ekelhafte Weise angrinsen, egal, welchen
Weitere Kostenlose Bücher