Der Beutegaenger
zuschlug.
»Hendrik!«
Sie drehten sich um. Bredeney kam auf sie zu. Er rennt, dachte Verhoeven verwundert. Wann war Oskar Bredeney das letzte Mal gerannt?
»Seht euch das an«, rief Grovius’ alter Weggefährte atemlos und wedelte mit dem Blatt Papier in seiner Hand. »Sie sind gerade gekommen.«
»Was ist gekommen?«
»Die Gedichte«, stieß Bredeney hervor. »Die Verse, wegen denen dieser Lehrer aus Düsseldorf angerufen hat. Hier, sieh sie dir an.« Er hielt Verhoeven ein Fax hin. Es war die Kopie einer Handschrift. Eine Art Brief. »Der Mann muss den Zusammenhang sofort erkannt haben, als er die Berichte über die Morde gelesen hat.«
Chrysanthemen, das erste Wort, auf das Verhoevens Augen fielen.
Gelbe Chrysanthemen mit wachen gelben Augen verfolgen deine Schritte
Geliebte . . .
Winnie Heller trat näher und blickte an Verhoevens Schulter vorbei auf das Fax. Was sie sah, ließ sie erschaudern. Das klingt wie Kunst, dachte sie. Aber es ist krank. Abgrundtief krank.
Der
blinde
scharlachrote Mohn schreit blutend . . .
»Und stellt euch vor«, fuhr Bredeney fort. »Der Mann war die ganze Zeit nicht zu erreichen, weil er im Krankenhaus ist.«
. . . über den
sturmzerrissenen
Feldern meiner Seele . . .
»Ich hab mir die Adresse heraussuchen lassen und eine seiner Nachbarinnen angerufen. Und die hat mir erzählt, dass Herr Breidstettner seit vergangenen Freitag mit einem Oberschenkelhalsbruch in der Klinik liegt, weil er im Treppenhaus gestürzt ist.«
. . . nach dir
immer nur...
»Er hat nämlich die parkinsonsche Krankheit.«
. . . nach dir
»Nach dem Eingriff gab es ein paar Komplikationen, und die Ärzte mussten Herrn Breidstettner in ein künstliches Koma versetzen.«
weiß
der Tod . . .
»Ich habe vorhin mit seinem Sohn telefoniert. Der hatte sich schon gewundert, weil eine Krankenschwester ihm erzählt hatte, sein Vater habe irgendetwas Merkwürdiges von Ratten geredet und sich fürchterlich aufgeregt, als er aus der Narkose erwacht sei. Er ist dann in die Wohnung seines Vaters gefahren, und neben dem Telefon lag dieser Brief.«
. . . mit tausend Ratten
kommt er still . . .
»Er hat ihn mir eben durchgefaxt.«
. . . aus den Fluten steigen sie
unzählig...
»Ziemlich starker Tobak, was?« Bredeney hielt inne und sah Verhoeven an. Verhoeven erkannte die Frage in seinen Augen. Warum fragst du mich?, dachte er. Du bist derjenige mit der Erfahrung. »Es sind vier Gedichte«, sagte Bredeney. »Ich nehme an, das bedeutet, dass da noch einiges auf uns zukommt.«
. . . und nagen was blieb . . .
Verhoeven nickte stumm. Ihm war übel. Wir müssen das Morden stoppen, dachte er. Aber wie? »Wer hat das geschrieben?«
. . . von Haar und Geäst
»Das konnten wir leider nicht herausfinden«, antwortete Bredeney resigniert. »Der Sohn hat sich wirklich alle Mühe gegeben, aber nirgendwo in der Wohnung seines Vaters fand sich ein Hinweis darauf, wo Herr Breidstettner diesen Brief herhat oder wer ihn geschrieben haben könnte. Sein Sohn ist sich jedenfalls sicher, diese Texte noch nie gesehen zuhaben.«
»Wir brauchen das Original.«
»Ist bereits veranlasst«, nickte Bredeney. »Der Brief wird genauestens untersucht, sobald er hier ist.«
»Und schick jemanden in diese Klinik«, sagte Verhoeven. »Irgendjemand muss dort sein, wenn der Alte aufwacht.«
»Wenn ich den Sohn richtig verstanden habe, kann das noch eine ganze Weile dauern«, entgegnete Bredeney.
»Ich werde anrufen«, sagte Verhoeven. »Mit den Ärzten sprechen. Vielleicht kann man ja doch irgendetwas beschleunigen. Vielleicht. . .« Er biss sich auf die Lippen und sah wieder nach der Lichterkette. Rosa, Grün, Blau, Rot. Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Ermittlungen hatten sie etwas wirklich Fassbares. Etwas, an das sie sich halten konnten. Das ihnen eine vage Idee gab, womit sie es hier zu tun hatten. Und irgendwo am Horizont wurde vor ihren Augen ein erster Schatten des Mörders sichtbar. Er drehte sich wieder zu seinen Kollegen um und gab Bredeney das Fax zurück. »Diese Gedichte führen zu dem Mann, den wir suchen, und der Alte ist unsere einzige Chance, herauszufinden, wer sie geschrieben hat.«
Sie hatte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinausgeblickt und festgestellt, dass sein Wagen noch immer unten auf dem Parkplatz stand. Natürlich überraschte sie diese Tatsache nicht. Schließlich wusste er ganz genau, wann der letzte
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