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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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sagen.«
    Dann drehte er sich zu Winnie Heller um, deren Blick auf Dr. Gutzkow ruhte. Die Gerichtsmedizinerin kniete mit vorgerecktem Kopf neben der Toten wie eine weise alte Schildkröte. »Was machen wir falsch?«, fragte er. »Wieso war es uns nicht möglich, das hier zu verhindern?«
    Warum fragt er mich das?, dachte Winnie Heller unbehaglich. »Keine Ahnung«, sagte sie und blickte in den schweren schiefergrauen Himmel hinauf. Seit ein paar Minuten schneite es wieder, doch die Flocken waren klebrig und nass. Das winterliche Intermezzo war zu Ende, noch bevor es richtig begonnen hatte. Unten am See waren Lübkes Mitarbeiter hastig bemüht, ein Zeltdach über dem Fundort zu errichten, über Blut und Ratten und nicht vorhandenen Spuren. Winnie Heller schloss die Augen und spürte, wie immer neue Schneeflocken ihr Gesicht trafen und sich durch die Wärme ihrer Haut in winzige Wassertröpfchen verwandelten. Es war ein schönes Gefühl. Ein Gefühl, das sie an ihre Kindheit erinnerte. An Elli im Kinderwagen, an Schlittenfahrten und vor Glück und Kälte glühende Wangen. Sie musste nach ihrer Schwester sehen, egal, wie spät es heute werden würde.
    »Es hat keinen Sinn, noch länger hier draußen herumzustehen«, sagte Verhoeven nach einer Weile eher resigniert als entschlossen. »Es gibt hier nichts mehr für uns zu tun.«
    Winnie Heller nickte und rückte ihren Schal zurecht. Ein Gedicht war noch übrig. Und dann? Was dann? Würde es dann einfach zu Ende sein? Konnte man aufhören, wenn man alle Grenzen so weit überschritten hatte?
    Oben an der Straße hielt ein Auto mit quietschenden Reifen. Werneuchen sprang heraus und kam mit langen Schrittenauf die beiden Kommissare zugerannt. Verhoeven hatte ihn zu der Baustofffirma geschickt, in der Anna-Lena Kluger gearbeitet hatte. »Wir haben einen Zeugen«, rief er schon von Weitem und so laut, dass sich selbst Dr. Gutzkow unten am See verwundert umsah. »Dieses Mal haben wir einen gottverdammten Zeugen!«
    Verhoeven hob wie elektrisiert den Kopf. »Was sagst du da?« Werneuchen schnappte nach Luft. »Ein Kollege von der Kluger hat gestern Abend beobachtet, wie sie an der Bushaltestelle in ein Auto gestiegen ist, kurz bevor der Bus kam.« »Was für ein Auto?«
    »Der Zeuge meint, es könne ein Sharan gewesen sein, dunkelblau oder dunkelgrün.«
    Verhoeven packte seine Kollegin am Oberarm. »Okay, fahren wir!«, rief er. »Diesen Mann will ich persönlich sprechen. Wie heißt er?«
    »Robert Niedhardt«, entgegnete Werneuchen und rannte hinter ihm her.
    In Verhoevens Manteltasche klingelte sein Handy. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, den Anruf zu ignorieren und die Mailbox den Job übernehmen zu lassen, entschied sich dann aber doch dafür, das Gespräch anzunehmen. Er klappte das Handy auf und telefonierte im Laufen. Plötzlich blieb er abrupt stehen. »Haben Sie vielen Dank«, sagte er und unterbrach die Verbindung. »Das war Gernot Leistner«, berichtete er. »Susanne Leistner war doch Mitglied bei Fit for Life. Sie hat die Mitgliedschaft nur gekündigt, weil sie schwanger wurde.«
    Wie vom Donner gerührt, starrten die beiden Kollegen ihn an.
    »Verdammt, Sie hatten die ganze Zeit recht«, befand Winnie Heller mit einem anerkennenden Kopfschütteln. Verhoeven straffte die Schultern. »Ich möchte, dass du imStudio vorbeifährst und unsere verehrte Frau Siemssen in aller Form bittest, dich aufs Präsidium zu begleiten«, wandte er sich wieder an Werneuchen. »Frau Heller wird sie sich vornehmen.«
    Er hat mich nicht gefragt, ob ich das schaffe, dachte Winnie Heller. Ob ich das kann. Er lässt mich einfach machen.
    »Ich werde in der Zwischenzeit noch einmal mit unserem Zeugen sprechen. Wir treffen uns dann im Präsidium.« Verhoeven sah auf die Uhr. Grovius’ Uhr. Den Kompass. »Es wird allmählich Zeit, dass wir Licht in dieses Dunkel bringen.«
     
     
     
    »Und viel konnte ich ja auf die Entfernung auch gar nicht erkennen«, schloss Robert Niedhardt seinen Bericht von den Ereignissen des Vorabends, wobei er sich zum wiederholten Mal mit der flachen Hand über die feinen Bartstoppeln an Kinn und Hals strich. »Immerhin ist es ja nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass ich überhaupt etwas gesehen habe«, setzte er hinzu.
    Verhoeven war diesem Typ Mann oft genug begegnet, um sich vorstellen zu können, welcher Art die Zufälle waren, die ihn immer wieder in die Nähe seiner jungen Kollegin geführt hatten. Ob sich Anna-Lena Kluger vor ihm

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