Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Frauen-Fitnesscenter Fit for Life aufschloss, stieß sie mit dem Fuß gegen einen leeren Kanister Flüssigseife, der direkt hinter der Tür gestanden hatte. Neben dem umgefallenen Kanister lagen – gleichwohl mitten im Korridor – zwei leere Sprühflaschen für Glasreiniger. Hedi Apsner fluchte und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund pflegte die türkische Putzfrau, die das Studio und die Umkleidekabinen in Ordnung hielt, auf diese subtile Weise einen Mangel an Putzmitteln anzuzeigen. Warum, um Himmels willen, kann sie nicht einfach eine Liste machen?, stöhnte Hedi und sammelte die Behälter kopfschüttelnd ein. Sie fragte sich, was die Putzfrau wohl unternehmen würde, wenn man ihre dezenten Hinweise einfach ignorierte. Aber wahrscheinlich war es besser, das nicht auszuprobieren!
    Sie warf die Behälter in den Verpackungsmüll und machte im Kalender an der Rezeption eine entsprechende Notiz für ihre Chefin, als die Türglocke läutete. Hedi Apsner warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr über dem Eingang zumTrainingsbereich. Das Studio öffnete wochentags um neun Uhr, doch die Übungsleiterinnen kamen meist etwas früher. Sie drückte auf den Türöffner und begrüßte eine braun gebrannte Blondine, zwischen deren Schultern man bequem einen mittelgroßen Blumenkasten hätte aufstellen können. »Hallo, Joyce. So zeitig?«
    Die Angesprochene lächelte und entblößte dabei zwei Reihen makellos weißer Zähne. »Ich will den neuen Körperfettmesser ausprobieren, bevor ich mich der Cellulite meiner Hausfrauen widme«, verkündete sie vergnügt.
    Hedi Apsner musterte Joyces durchtrainierten Körper und fragte sich, was das Messgerät wohl anzeigen würde. Sicher einen Wert mit einem Minuszeichen davor, dachte sie grimmig. Ein Fettdefizit.
    Die Trainerin war unterdessen dazu übergegangen, die Kurspläne an der Pinnwand neben der Anmeldung zu studieren. »Ich dachte, der neue Spinning-Kurs beginnt erst nächsten Mittwoch«, bemerkte sie stirnrunzelnd.
    Hedi Apsner nickte. »Tut er auch.«
    »Dann ist es hier falsch eingetragen«, konstatierte Joyce und nahm ihre Tasche, die sie zwischenzeitlich auf dem blitzsauberen Linoleum abgestellt hatte, wieder auf. »Hat irgendjemand Geburtstag?«, erkundigte sie sich dann mit einer Munterkeit, die Hedi Apsner augenblicklich das Gefühl gab, mindestens drei Nächte lang nicht geschlafen zu haben.
    »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete sie. »Wieso?«
    »Na, ich dachte nur, wegen der Blumen.« Joyce zeigte auf den Tresen an der Anmeldung.
    Hedi Apsner zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Die standen schon da, als ich gekommen bin.«
    Diese Aussage schien Joyce zufriedenzustellen, denn sie verschwand athletischen Schritts und ohne ein weiteres Wort in Richtung Umkleidekabinen, während Hedi Apsner sichdaranmachte, den Kühlschrank an der Bar mit isotonischen Getränken aufzufüllen.
    In einer Vase neben dem Telefon stand ein großer Strauß gelber Chrysanthemen .
     
     
     
    Hajo Dietrichs lehnte am Kofferraum seines Wagens und atmete genüsslich die frische, klare Waldluft ein. Über Nacht hatte sich die Wolkendecke aufgelöst. Zum ersten Mal seit Tagen lachte die Sonne vom strahlend blauen Himmel und ließ den bis in tiefe Schichten durchfeuchteten Waldboden dampfen. Frühnebel hing wie feiner blütenweißer Tüll zwischen den hohen Stämmen der Buchen, und die Luft war erfüllt von den mannigfachen Düften des Herbstes. Was für ein herrlicher Morgen, dachte er und schloss die Augen. Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt, herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen, rezitierte er im Stillen aus einem Gedicht von Eduard Mörike, das er als Junge hatte auswendig lernen müssen. Er hatte diese Verse nie vergessen, obwohl Deutsch nicht gerade sein liebstes Fach gewesen war, eher im Gegenteil. Gedankenverloren schüttelte er den Kopf. Es war schon eigenartig, wie das menschliche Gedächtnis funktionierte. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung, für die er eine Eins bekommen hatte, lag irgendwo verschüttet, aber der Mörike, den er als Junge noch nicht einmal richtig verstanden hatte, war noch immer da ...
    Der schrille Ton einer Autohupe riss ihn aus seinen Philosophien. Helmut Fäth, sein langjähriger Arbeitskollege, hob grüßend die Hand und manövrierte seinen silbernen Audi reichlich umständlich in die Lücke neben Dietrichs’ Peugeot.
    Unter den wie immer mehr als

Weitere Kostenlose Bücher