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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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nicht, sondern blickte wieder in die Akte auf seinem Schreibtisch.
    Verhoeven hatte den Eindruck, dass er Zeit gewinnen wollte. »Ich hätte gern gewusst, was Sie da eben gemeint haben«, wiederholte er dezidiert, wobei er einen flüchtigen Moment lang versucht war, in seine Brusttasche zu greifen und seinen Dienstausweis mitten auf Hinnrichs’ grundsoliden Eichentisch zu knallen. Aufzugeben. Hinzuwerfen. »Nur um sicherzugehen, dass ich es verstehe.«
    Jetzt sah er doch hoch. »Ich spreche von neuen Impulsen.« Es klang aggressiv, wie er das sagte. Sie wollen eine Erklärung? Bitte sehr, dann kriegen Sie eine! »Von anderen Ansätzen. Einem neuen Blickwinkel abseits der erstarrten Routine.« Seine Ellenbogen ruhten breit auf den Lehnen des Sessels, die Fingerspitzen waren locker aneinandergelegt. »Ich meine, wenn man so lange bei der Truppe war wie Grovius, ist es doch klar, dass . . .« Er zögerte und schien nun doch zu überlegen, ob er das, was ihm auf der Zunge lag, tatsächlich aussprechen oder lieber für sich behalten sollte. Ein kurzes, energisches Klopfen an der Tür nahm ihm die Entscheidung ab.
    »Störe ich?« Die Frau im Türrahmen war klein, aber kompakt gebaut und wirkte deutlich älter als sechsundzwanzig. Ihre halblangen Haare waren in einem wenig vorteilhaften Kupferton gefärbt und im Nacken mit einem nackten Gummiring zusammengenommen, wie er zu jeder normalen Büroausstattung gehörte. An den Seiten hatten sich ein paar Strähnen gelöst. Es sah unordentlich aus, fast provisorisch. Sie trug Jeans und ein kastiges dunkelblaues Fleece-Shirt, das ihre breiten Schultern betonte. »Winnie Heller«, stellte sie sich vor. »Ich sollte mich bei Ihnen melden.«
    Hinnrichs setzte eben zu einer Begrüßung an, als sein Telefon zu klingeln begann. Er nahm ab und lauschte eine Weileschweigend, während er Winnie Heller mit der fuchtelnden freien Hand bedeutete einzutreten.
    Sie folgte seiner Aufforderung und zog die Tür hinter sich zu. »Guten Morgen«, flüsterte sie, indem sie Verhoeven eine warme und erstaunlich weiche Hand hinstreckte. »Tja, ich schätze, ich bin Ihre neue Partnerin.«
    Ihr Händedruck war kräftig wie der eines Mannes. »Verhoeven«, antwortete er mechanisch. »Hendrik Verhoeven.« Winnie Heller lächelte. »Ich weiß.«
    Ihre neue Partnerin ... Er überlegte, ob er ihr widersprechen sollte, ihr geradeheraus sagen, dass er nicht der Richtige war für diesen Job, dass er seinen Vorgesetzten bitten würde, sie mit einem erfahreneren Kollegen zusammenzuspannen, ihr eine Portion erstarrter Routine zu gönnen, an der sie lernen und wachsen konnte, doch Hinnrichs, der sein Telefonat in diesem Augenblick beendet hatte, kam ihm zuvor.
    »Im Stadtwald haben sie eine tote Joggerin gefunden. Allem Anschein nach wurde sie Opfer eines Kapitalverbrechens.« Er bedachte Verhoeven mit einem Blick, der klarmachte, dass er keine weitere Diskussion über seine Entscheidung dulden würde. »Fahren Sie sofort hin und nehmen Sie Ihre neue Partnerin gleich mit.«
     
     
     
    Sie hatte einen Instinkt entwickelt. Einen Instinkt, der ihn betraf.
    Sie hatte ihn nicht verhindern können, diesen Instinkt. Er war einfach in ihr gewachsen wie ein Krebsgeschwür, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können. Sie hatte es ja noch nicht einmal bemerkt. Dabei hatte sie nie irgendetwas von ihm haben wollen. Gar nichts. Aber das zählte nicht. Es kam nichtdarauf an, was sie wollte, so viel immerhin hatte sie schon vor langer Zeit begriffen. Und inzwischen hätte sie nicht einmal mehr sagen können, was sie wollen würde, wenn sie wollen dürfte. Sie starrte auf die kalte Herdplatte vor sich. Vielleicht war das ganz gut so. Nicht mehr zu wissen, was man wollte. Keine Pläne, keine Enttäuschungen ...
    Sie angelte nach einem Topflappen und nahm die beiden Brötchen aus dem Backofen, ihr Frühstück. Tiefgefroren zum Aufbacken, acht Minuten bei 190 Grad. In den beiden großen Tiefkühltruhen nebenan stapelten sich die Beutel. Brötchen, Pizza, Tiefkühlgemüse. Fisch, Putenbraten, Eiscreme. Vorräte zu besitzen ersparte ihr die Panikattacken beim Einkaufen. Und einmal im Monat der Großmarkt war beileibe schon schwierig genug. Soweit möglich, alles aus der Tiefkühltruhe. Nur hier und da mal ein Stück Butter oder etwas Joghurt in der Mittagspause. Der kleine Laden an der Ecke, der dem Fitness-Studio gegenüberlag, war um die Mittagszeit fast leer. Fünf Minuten alles in allem. Keine unnötigen Wege. Keine Umwege,

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