Der Beutegaenger
leichthin, doch sein Lächeln hatte etwas Gezwungenes.
»Wirklich?«
Der Pharmareferent schien es nicht für nötig zu halten, seine Antwort zu wiederholen.
»Und was ist mit Ihrer Frau?«, fragte Winnie Heller aus ihrer Deckung in Verhoevens Rücken heraus. »Ist sie über Ihre kleinen Seitensprünge informiert?«
Verhoeven hatte den Eindruck, dass sie ganz bewusst im Plural sprach.
Grabner spähte an ihm vorbei und musterte Winnie Heller eine Weile schweigend. »Ich bin nicht geschmacklos«, sagte er schließlich.
»Wann haben Sie Frau Leistner zum letzten Mal getroffen?«
»Am Montag vergangener Woche. Wir waren in ihrer Mittagspause zum Essen verabredet.«
»Ist Ihnen bei dieser Gelegenheit etwas Besonderes an ihr aufgefallen?«
»Sie zog sich mehr und mehr von mir zurück«, lautete Grabners erstaunlich ehrliche Antwort. »Allerdings nicht erst seit letztem Montag.«
»Und das hat Sie nicht gestört?«
»Wie ich Ihnen bereits sagte, verband Susanne und mich nicht das, was man eine romantische Liebe nennt«, erwiderte der Pharmareferent. »Ich für meinen Teil hätte die Beziehung sicherlich noch eine Weile weitergeführt, aber ich hätte mich auch nicht in den Schlaf geweint, wenn Susanne Schluss gemacht hätte.«
Nach außen hin wirkte er gelassen, beinahe gleichgültig. Verhoeven fragte sich, womit die glatte Oberfläche aufzubrechen sei und was dahinterlag. »Was hätten Sie getan, falls Ihnen jemand damit gedroht hätte, Ihre Gattin von Ihren außerehelichen Umtrieben in Kenntnis zu setzen?«
»Finden Sie nicht, dass Ihre Fragen insgesamt ein wenig zuhypothetisch formuliert sind?«, entgegnete der Pharmareferent belustigt.
Verhoeven sagte nichts. Er hatte das Gefühl, dass Grabner nur Zeit gewinnen wollte. Also lehnte er sich zurück und wartete, wobei er inständig hoffte, dass Winnie Hellers Ungeduld ihm keinen Strich durch die Rechnung machen würde. Doch sie schien zu spüren, was er vorhatte, und hielt sich zurück.
»Ich hätte denjenigen für einen Riesenspielverderber gehalten«, erklärte Grabner nach einer Weile, doch seine arrogante Kaltschnäuzigkeit wirkte nicht mehr ganz so glaubhaft wie zuvor. »Haben Sie etwa an diese fürchterliche Buchhalterin gedacht?«
Verhoeven lächelte. »Ich habe an niemanden gedacht.«
»Es wäre natürlich sehr ärgerlich gewesen, wenn meine Frau davon erfahren hätte«, fuhr Grabner nach einer Weile wie zu sich selbst fort. »Allerdings glaube ich kaum, dass eine solche Eröffnung ernsthafte Konsequenzen gehabt hätte. Meine Frau ist in dieser Hinsicht recht belastbar.« Er blickte an sich hinunter und zog dann sorgfältig seine Krawatte glatt. »Ein paar vorübergehende Unbequemlichkeiten vielleicht. Nichts Ernstes.«
Verhoeven lächelte noch immer. »Wo waren Sie am vergangenen Dienstag zwischen sechzehn und neunzehn Uhr?«
Der Pharmareferent grinste. »Aber das wissen Sie doch bereits«, antwortete er. »Ich war auf einer Dienstreise, genauer gesagt, auf einer Schulung meiner Firma. In Fulda. Seminare, Vorträge, das ganze Programm. Sie können das selbstverständlich überprüfen.«
»Das werden wir«, sagte Verhoeven. »Verlassen Sie sich darauf.«
Was zögerte sie denn? Es war alles bereit. Es kostete nur eine Unterschrift. Nur eine einzige Unterschrift. Dann war es vorbei. Dann konnte sie gehen. Dann war sie frei.
Frei wofür?
Sie dachte an die anderen Städte, in denen sie gelebt hatte. Die anderen Häuser. Bei jeder Ankunft hatte sie gewusst, dass sie nicht bleiben würde. Jeder Neuanfang hatte bereits den Keim des Abschieds in sich getragen. VORÜBERGEHEND hatte in riesigen, gestochen scharfen Lettern über jedem neuen Heim geprangt, jeden einzelnen Einzug überschattet. Sie hatte das Wort in ihrem Bewusstsein verankern wollen. VORÜBERGEHEND. So fiel es leichter, sich nicht einzurichten ...
Was machst du, wenn du älter bist? Erwachsen?
Was meinst du?
Willst du Kinder? Ein Haus? Mit einer grün-weiß gestreiften Hollywoodschaukel im Garten?
Oh nein, sie war nirgendwo lange geblieben, obwohl sie in keiner der anderen Städte einen konkreten Anlass zur Flucht gehabt hatte, so wie hier. Wie jetzt. In keiner der anderen Städte hatte eines Tages ein Strauß gelber Chrysanthemen auf sie gewartet. Oder doch? Mechanisch drückte sie die Klinke der Wohnungstür hinunter. Drehte den Schlüssel, der wie gewöhnlich im Schloss steckte, nach rechts, nur um zu sehen, dass es nicht ging, dass er auf Widerstand stieß, dass es keinen
Weitere Kostenlose Bücher