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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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China gelten sie als Symbol für ein langes Leben, weshalb sie vielerorts sogar gegessen werden. Und in Japan stehen sie für das Kaiserhaus.«
    Wenn sie angesichts ihrer Expertise Beifall erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Einzig Lübke warf ihr einen durchaus amüsierten Blick zu. »Stimmt«, räumte er ein, indem er erneut und wenig diskret Verhoevens Reaktion auf den Alleingang seiner neuen Partnerin taxierte. »Trotzdem gab und gibt es hierzulande Absatzschwierigkeiten, weil die Leute echte Chrysanthemen nach wie vor nur zu den klassischen Totengedenktagen kaufen.« Das Holz seines Stuhls knarrte, als ersich zurücklehnte und seine schweren Beine unter dem Tisch ausstreckte. »Nur Arten, die von den Züchtern so weit verändert wurden, dass sie nicht mehr als eigentliche Chrysanthemen zu erkennen sind, werden auch zu anderen Jahreszeiten verkauft.«
    »Ist es da nicht naheliegend, dass unser Täter die Chrysantheme ebenfalls im Sinne einer Totenblume verwendet hat?«, fragte Werneuchen.
    Niemand antwortete ihm.
    Trotz des geöffneten Fensters war die Luft so dick wie in einer Waschküche. Hinnrichs hatte sich eine weitere Zigarette angesteckt und blätterte in seinen Kopien, als erwarte er, dort die Antwort auf alle ungelösten Fragen zu finden, wenn er nur lange genug danach suchte. Lübke prustete und fuhr sich mit einem seiner dicken Finger in den Kragen seines schlecht gebügelten Hemds, wo er mit einer geübten Bewegung die obersten beiden Knöpfe aufriss. Verhoeven spielte am Henkel seiner Kaffeetasse und dachte an Susanne Leistners Kollegin. An die Art, wie Monika Gerling ihnen nachgeblickt hatte. Was in aller Welt haben Chrysanthemen damit zu tun? Tja, dachte er, das ist die Frage. Eine von vielen. Er blätterte in seiner Akte und starrte wieder Dr. Gutzkows energische Ausrufezeichen an. Eine Totenblume oder das Symbol für ein langes Leben, dachte er. Ein symbolischer Suizid oder eine Falle. Ein Täuschungsmanöver. Etwas, das krank aussehen sollte, aber nicht krank war. Oder?
    »Was ist mit dem Umfeld des Opfers?«, riss Hinnrichs’ schnarrende Stimme ihn aus seinen Überlegungen. »Sind Sie diesbezüglich fündig geworden?«
    »Wir haben uns in Susanne Leistners Freundeskreis umgehört«, antwortete Verhoeven, nachdem er sich kurz mit Winnie Heller verständigt hatte. »Aber bislang haben wir keine Hinweise auf einen möglichen Verfolger gefunden. DasOpfer war seit etwas mehr als drei Jahren verheiratet. Der Ehemann ist Freiberufler und kümmert sich um die gemeinsame Tochter. Nebenbei hatte Frau Leistner allem Anschein nach einen Liebhaber.« Er sah wieder zu Winnie Heller hinüber, die jedoch keine Anstalten machte, ihn bei seinen Ausführungen zu unterstützen. »Leider hatten wir bisher noch keine Gelegenheit, mit dem betreffenden Herrn zu sprechen«, fuhr er schließlich, an seinen Vorgesetzten gewandt, fort. »Er ist Pharmareferent und war seit Montag geschäftlich unterwegs. Allerdings erwartete seine Frau ihn gestern Abend zurück.«
    »Eifersucht ist immer ein gutes Motiv«, sagte Werneuchen.
    Verhoeven dachte an Susanne Leistners Witwer. Er hegte keinen Zweifel daran, dass Gernot Leistner von der Affäre seiner Frau gewusst hatte. Aber wie war er damit umgegangen? Hatte er den Betrug hingenommen, wie man eine unabänderliche Tatsache akzeptiert, oder hatte er um seine Ehe gekämpft? Glaub mir , mein Junge, wenn Liebe im Spiel ist, sind die Menschen zu allem fähig , hatte Grovius immer gesagt. Und die Kehrseite der Liebe war Hass, nicht Gleichgültigkeit. Aber war es das, womit sie es hier zu tun hatten? Hass? Er rief sich das Bild Susanne Leistners in Erinnerung, wie sie ausgestreckt im kalten Schlamm gelegen hatte, und dachte an den Ausdruck auf ihrem Gesicht. War die Chrysantheme, die sie gefunden hatten, tatsächlich der letzte Gruß des Mörders an sein Opfer? Ein Akt der Liebe? Seine Finger spielten mit dem Henkel der Kaffeetasse. Nein, dachte er. Dann hätte er sie auf eine andere Art und Weise zurückgelassen. Niemals hätte er ihr eigens zu diesem Zweck den Bauch aufgeschlitzt ...

»Ihr habt Besuch.« Oskar Bredeney deutete auf die geschlossene Tür hinter sich. Winnie Hellers erstem Empfinden nach war er ein entschieden hässlicher Mann mit einem hageren, pockennarbigen Gesicht und spöttischen grauen Augen hinter den Gläsern seiner halben Brille, die ihm, wenn er sie nicht gerade zum Lesen brauchte, an einer hauchzarten Silberkette um den Hals baumelte. »Der Liebhaber von

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