Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Spielraum gab. Dass sie nichts übersehen hatte. Dann schaltete sie das Flurlicht aus und ging ins Wohnzimmer hinüber, wo ganz leise der Fernseher lief. Nach den Abendnachrichten, zu denen sie sich irgendwie verpflichtet fühlte, nahm sie das Buch auf, in dem sie gelesen hatte. Bücher waren das Einzige, auf das sie nicht verzichten konnte, trotz der Probleme, die es ihr bereitete, in eine Buchhandlung zu gehen. Wann immer sie sich dazu überwinden konnte, kaufte sie ganze Stapelvon Büchern, die sie in Kisten aufbewahrte, bis es wieder einmal so weit war. Bis es wieder einmal nicht mehr ging. Und dann, wenn es so weit war, stellte sie die Kisten mit ihren Büchern an die Straße. Zum Altpapier. Es fiel ihr nicht einmal schwer, alles fortzuwerfen, denn das, was ihr daran wichtig war, hatte sie ohnehin im Kopf. Der einzige Ort, an dem es sicher war. Die einzige Rückzugsmöglichkeit. Die Gedanken sind frei. Ein Satz, so wahr wie abgedroschen.
    Sie dachte wieder an den Blumenstrauß auf der Theke im Studio. Vielleicht war es ja gar nicht so anders, dieses Mal. Nicht gefährlicher als sonst. Vielleicht war sie in den anderen Städten ja nur immer rechtzeitig genug gegangen. Gegangen, bevor die Chrysanthemen sie eingeholt hatten ...
    Sag schon, was machst du, wenn du älter bist? Wie wirst du leben?
    »Überhaupt kein Problem«, hatte ihre Anwältin gesagt. »Eine Sache von wenigen Tagen, bei dieser Lage.« Nur eine Unterschrift. Eine einzige Unterschrift. Dann war sie frei. Dann konnte sie gehen. Gut, sie hatte die Angestellten kennengelernt im Laufe der Zeit. Da ergaben sich zwangsläufig gewisse Bindungen. Sympathien. Aber sie ging doch sowieso nicht mit diesen Leuten zum Essen, ins Kino, in die Oper. Da war es doch schließlich gleichgültig, mit wem sie nicht ins Kino ging, oder? Und wo ...
    Was zögerte sie denn?
    Hier war sie ohnehin schon viel zu lange. Und sie hatte ja auch immer gewusst, dass sie nicht bleiben würde. Von Anfang an. Klare Verhältnisse. Keine Illusionen. Sie hatte es schon viel zu lange aufgeschoben, das Fortgehen. Nun war es höchste Zeit. Die Chrysanthemen bewiesen, dass es höchste Zeit war. Und auf Herbstspaziergänge konnte sie schließlich auch anderswo verzichten, in einer anderen Stadt, oder nicht? Und die weiche graue Katze war ja auch nie zurückgekommen ...
    Es gab keinen Grund hierzubleiben. Es war höchste Zeit.
    Was zögerte sie denn?
     
     
     
    Nach dem Abendessen war Winnie Heller endlich dazu gekommen, die Mangrovenwurzel einzusetzen. Vor der improvisierten Höhle aus faustgroßen Steinen, die sie angelegt hatte, um ihren Fischen ein paar zusätzliche Rückzugsmöglichkeiten zu eröffnen, machte sich die Wurzel überaus edel aus, und Winnie nutzte die Gelegenheit, auch den Rest des Bassins wieder einmal einer ausführlichen Grundreinigung zu unterziehen. Als sie die Hand ins Becken schob, um das Glas von kleineren Algenresten zu reinigen, kam Da Ponte, ihr zweijähriges Paradiesfischmännchen, angeschwommen und begann sogleich, Salz und Luftbläschen von ihrer Haut zu fressen.
    »Na, mein Schöner, wie geht es dir heute?«, fragte sie, seine Berührung genießend. »Was meinst du? ... Wie mein Tag war?« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Frag nicht! Ich sage dir, dieser Fall, an dem ich arbeite, ist echt verzwickt. Da ist dieser milchige Ehemann des Opfers, weißt du, der uns bei jedem zweiten Satz anflunkert und dabei einen auf superweich gespült macht, aber trotzdem kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er seine Frau derartig zurichten würde. Nee, nee, mein Hübscher, wenn du mich fragst, steckt da etwas ganz anderes dahinter. Etwas . . . « Sie suchte eine Weile nach dem passenden Wort. »... Etwas ganz und gar Unnormales, verstehst du? Irgend so eine elende Psychopathenkiste. Und mir wäre bedeutend wohler, wenn mein neuer Boss nicht so ein stilles Wasser wäre. Bei Paul Cartier ... Was?
    Ja genau, der Deckhengst mit den schiefen Zähnen ... Na, wie auch immer, bei Cartier wusstest du auf Anhieb, wo du dran bist. Du brauchtest ihn nur anzusehen und hast genau gewusst, was er denkt. Aber Verhoeven . . .« Sie verdrehte die Augen. »Ich sage dir, dieser Mann hat überhaupt keine Meinung. Zumindest keine eigene. Und dieser Bredeney sagt auch immer nur Ja und Amen. Oh Mann, der hat seinen kleinen, pockennarbigen Geist anscheinend schon vor Jahren in Pension geschickt und will bloß noch eins: keine Fehler mehr machen, die ihm Unannehmlichkeiten

Weitere Kostenlose Bücher