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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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etwas an seinem Tonfall gewesen, das Verhoeven nicht gefallen hatte. »Ich meine jemanden, der Erfahrung hat.«
    »Von jetzt an sind Sie derjenige mit der Erfahrung. Sie können nicht bis an Ihr Lebensende hinter einem breiten Rücken in Deckung gehen.«
    Verhoeven war aufgestanden und hatte das Büro verlassen, um sich später darüber zu ärgern, schon wieder einen falschen Eindruck hinterlassen zu haben. Er war nicht konfliktscheu. Er hatte kein Problem mit seinem Selbstbewusstsein, und er war niemals hinter irgendwem in Deckung gegangen, zumindest hatte er es nie so empfunden. Er hatte auch nichtdas Gefühl, dass er den Anforderungen seines Berufs nicht gewachsen wäre. Aber Instinkt war die eine Sache und Erfahrung die andere. Ein Wert, zugegeben, der im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte immer mehr an Bedeutung verloren hatte, in einer Gesellschaft, in der dreißigjährige Hochschulabsolventen Unternehmen führten und picklige Jünglinge ein Vermögen verdienten, indem sie eine sorgsam in Allerweltsweisheiten verpackte Rücksichtslosigkeit predigten und noch ihre größten Fehlkalkulationen als strahlende Siege verkauften. Nein, dachte Verhoeven, ich habe kein Problem mit meinem Selbstbewusstsein. Ich bin nur einer, der daran glaubt, dass gewisse Dinge Zeit brauchen.
    Er sah wieder zu seiner Kollegin hinüber, die nach wie vor durch ihren Feldstecher starrte, als fürchte sie, er werde ein Gespräch beginnen, sobald sie das Fernglas absetzte.
    Drüben auf dem Friedhof defilierten die Trauernden langsam am offenen Grab vorbei. Einige warfen Blumen auf den Sarg, und Verhoeven musste unwillkürlich wieder an die Cellistin bei Grovius’ Begräbnis denken. An den Choral, den sie gespielt hatte. So nimm denn meine Hände und führe mich. Seine Augen folgten Gernot Leistner, der zwei große Sonnenblumen in der Hand hielt. Eine davon sollte wahrscheinlich von Amelie sein, die nichts davon ahnte, dass sie ihrer toten Mutter auf diese Weise einen letzten Gruß mit auf den Weg gab. Verhoeven rieb sich die trockenen Augen. Er war in Ninas Tagesstätte gewesen. Er hatte mit den Erzieherinnen gesprochen und sich den Speiseplan und sogar eine Liste mit Zusatzstoffen zeigen lassen. Trotzdem hatte er nach wie vor das Gefühl, einen Verrat zu begehen, wenn er an seine Tochter dachte. Und einen Verrat an seiner Frau, wenn er sich ihren Plänen weiterhin in den Weg stellte. Man kann nicht leben, ohne sich die Hände schmutzig zu machen , tönte Grovius in seinem Kopf.
    Im selben Augenblick begann das Handy in seiner Taschezu summen. Verdammt gutes Stichwort, dachte Verhoeven, als er die Ziffernfolge auf dem Display als Ullas Büronummer identifizierte. Seit ihrem Aussetzer von letzter Woche hatte sie sich nicht mehr bei ihm gemeldet, was ihn zugleich erleichtert und beunruhigt hatte. Er wusste, er musste vorsichtig sein, durfte sich nicht zu sehr engagieren, und was noch viel wichtiger war: Er durfte Ulla auf keinen Fall das Gefühl geben, in ihm einen Ersatz für ihren Leitstern gefunden zu haben, jemanden, der ihr Leben ordnete und den Karren aus dem Dreck zog, wenn sie wieder einmal Mist gebaut hatte. Andererseits fühlte er sich ihr irgendwie verpflichtet.
    »Störe ich?«
    »Nein.«
    »Ich wollte dich nur informieren, dass ich jetzt einen Anwalt eingeschaltet habe.« Sie klang selbstbewusst. Entschlossen.
    »Wegen der Wohnung?«
    »Ein paar von den Sachen gehören mir«, sagte sie. »Die will ich zurück.«
    »Was für Sachen?«
    »Der Radiowecker«, versetzte Ulla, nun wieder im Tonfall eines trotzigen kleinen Kindes. »Und die Handtücher mit den Monogrammen. Du weißt schon, die schönen blauen mit den eingestickten Rauten auf dem Rand. Die sind mal teuer gewesen, sage ich dir. Richtige Aussteuerhandtücher waren das. Nicht dieses billige Zeug aus Taiwan, für das sie auch noch die Dreistigkeit haben, zehn Euro zu verlangen.«
    Blusen für Bangladesch, dachte Verhoeven müde, indem er sich dunkel an einen sperrigen Radiowecker aus den späten Siebzigern erinnerte, den Holger Grovius in seinem entschlossenen Bemühen, auch noch die letzte Erinnerung an seinen Vater auszulöschen, vermutlich längst auf den Müll geworfen hatte.
    »Dieser verdammte Bastard hat kein Recht auf das Zeug«, echauffierte sich Ulla derweil weiter. »Und wir wollen erst mal sehen, wer von uns beiden am Ende dumm dasteht. Mein Anwalt wird ihm jedenfalls die Hölle heißmachen.« Sie lachte ein wenig zu laut. »Aber was ich dich eigentlich fragen

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