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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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angenommen, dass sie dazu noch selbst in der Lage wäre.«
    »Ich bin in der Lage«, kehlte Ulla. »Und jetzt gehe ich. Ich habe nämlich die Schnauze voll von dir, du gottverdammter Itaker.«
    »Oh, nononono, du bleibst schön hier.« Ein Krachen in der Leitung verriet Verhoeven, dass es Luigi Scolari einige Mühe bereitete, Ulla von ihrem Entschluss abzubringen, aus eigener Kraft nach Hause zu finden. »Keine Sorge, ich kümmere mich um sie«, versicherte er ein wenig atemlos, als er wieder an den Apparat kam. Im Hintergrund hörte Verhoeven Ullas Stimme. Es klang, als schluchze sie, aber er war sich nicht sicher. »Ich sage dem Fahrer, dass er sie bis in die Wohnung bringen soll und...«
    »Nicht nötig«, sagte Verhoeven. »Ich komme vorbei.« »Aber .. .«, setzte Luigi an, und in Silvies Augen las er denselben Einwand.
    »Zehn Minuten«, sagte Verhoeven und legte auf.
    Er brauchte tatsächlich weniger als eine Viertelstunde, um zu Luigi’s zu fahren und Ulla, die sich inzwischen beruhigt hatte und leise vor sich hin summte, in seinen Wagen zu verfrachten. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeugebrannten in seinen Augen, die sich heiß und entzündet anfühlten, und er wunderte sich einmal mehr, wie viele Menschen in einer ganz normalen Nacht auf den Straßen unterwegs waren. Die Fahrt verlief friedlich und überwiegend schweigend. Nur von Zeit zu Zeit machte Ulla eine Bemerkung, die er nicht verstand, weil sie sich offenbar auf eine Vergangenheit bezog, an der er keinen Anteil hatte, aber das schien sie nicht einmal zu bemerken. Er brachte sie die vier Treppen hoch zu ihrer düsteren Mansardenwohnung, die er mit ihren hundertzehn Quadratmetern geradezu erschreckend riesig fand, und wartete geduldig, bis sie in einem knappen Satinnachthemd mit Spitzenbesatz, in dem sie wie ein vollbusiger alter Filmstar aussah, wieder aus dem Bad kam. Die bröckelige Wimperntusche, die sie nicht abgeschminkt hatte, war unter ihren Augen zu hässlichen blauschwarzen Straßen zerlaufen, als sie ihm ein glasiges Lächeln schenkte.
    »Dank dir, Hendrik.«
    Er lächelte auch, obwohl er sich durchaus im Klaren war, dass ihn lediglich sein schlechtes Gewissen in Bezug auf Holger Grovius zu dieser nächtlichen Hilfsaktion veranlasst hatte. »Keine Ursache«, sagte er, während ihm langsam bewusst wurde, dass er mit seinem Erscheinen bei Luigi’s ganz zweifellos ein Zeichen gesetzt hatte. »Bist du sicher, dass du klarkommst?«
    Sie nickte eifrig und streckte ihm zur Untermauerung dieses Nickens zwei erhobene Finger entgegen. Eine Art schiefes Victory-Zeichen, das ihn eher erschreckte als beruhigte. Was, wenn sie sich wieder die Pulsadern aufschnitt, sowie damals?
    »Mach keine Dummheiten«, sagte er und ging zur Tür, ohne auf ihr energisches Kopfschütteln zu warten.
    Zu Hause in der Einfahrt blieb er im Auto sitzen, bis Vladimir Ashkenazy und die Wiener Philharmoniker unter Zubin Mehta mit dem ersten Satz von Beethovens KlavierkonzertNr.4 zu Ende waren. Dann stieg er aus und ging um das Haus herum in den Garten, wo er Holz, Säge, Schmirgelpapier, Leim und Nägel aus dem Geräteschuppen holte. Über ihm lag das Schlafzimmerfenster ganz im Dunkeln, und er war sich nicht ganz sicher, ob er sich freute, dass Silvie wieder schlief, oder ärgerlich war, dass sie nicht auf ihn gewartet hatte. Nachdem er ein paar leere Terrakotta-Töpfe von dem klapprigen Pflanztisch am hinteren Ende der Terrasse geräumt hatte, schlüpfte er aus seiner Jacke, öffnete den Kragen des Hemds, das er sich vor dem Schlafengehen zurechtgelegt hatte, um am Morgen nicht erst lange suchen zu müssen, krempelte die Ärmel hoch und genoss die kühle Nachtluft auf seiner Haut. Es hatte aufgehört zu regnen, und obwohl es recht frisch war, fror er nicht. Der kräftige Duft der feuchten, offenen Erde wehte zu ihm herüber, als er sich eines der Seitenteile, die er noch in der Woche vor Grovius’ Tod zurechtgeschnitten hatte, vornahm und die Kanten mit Schmirgelpapier bearbeitete.
    »Was in drei Teufels Namen treibst du da?«, fragte Silvie in der Terrassentür.
    »Ich baue ein Vogelhaus.«
    Sie nickte. »Um drei Uhr früh?«
    »Warum nicht?« Er sah nicht auf. »Ich habe meiner Tochter ein Vogelhaus versprochen, und sie kriegt auch eins. Außerdem kommt der Winter.«
    »Okay. Wie du meinst.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand im Haus, ohne die Tür hinter sich zu schließen.
    Sie ist wütend, dachte er. Wenn ich so weitermache, lässt sie sich

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