Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games
Henker ist das? Wie konnte der uns durch die Lappen gehen?«
O’Neal hämmerte wie wild auf seinem Notebook herum. »Keine Ahnung. Ich verfolge alle Streifenwagen, doch diesen habe ich nicht auf dem Rechner. Den gibt’s gar nicht.«
»Vielleicht ist sein Transponder kaputt?«
»Nein. Alle anderen sind erfasst.«
Als das fehlgeleitete Fahrzeug direkt vor dem Haus der Zielperson hielt, flippte Mann total aus.
»Wir müssen sofort abbrechen! Wir hatten nicht genug Zeit!«
Mit einem Blick in den Rückspiegel erspähte Hardie den weißen Lieferwagen, der in der Auffahrt ein paar Häuser weiter auf der anderen Straßenseite stand. Seine barbusige
Freundin und ihre Bande hatten ihn inzwischen bestimmt bemerkt. Wahrscheinlich bereiteten sie gerade seinen schnellen Abgang vor. Mit Pfeilen oder Nadeln oder Todesstrahlen oder sonst irgendeinem kranken Zeug.
Also …
Scheiß drauf.
Die meisten Polizeiautos waren mit einem sogenannten »Push Bumper« ausgestattet, einem Frontschutzbügel, der an das Fahrgestell geschweißt war, um einen anderen Wagen zu rammen, damit er rechts ran fuhr oder seine Fahrt endgültig beendete. Er hoffte, dass der Wagen ebenfalls darüber verfügte.
Hardie schaltete in einen anderen Gang und stieg aufs Gas. Der Streifenwagen hüpfte über den Bordstein, krachte durch einen dichten Busch und schoss über den Rasen. Er riss das Steuer scharf nach rechts. Der Wagen wirbelte herum und kam wenige Meter vor der Haustür rutschend zum Stehen. Ohne weiter nachzudenken, öffnete Hardie die Fahrertür, zückte eine der Pistolen und lief zum Hauseingang. Er war nicht abgeschlossen. Arrogante Scheißkerle.
NEUNUNDZWANZIG
Pistolen, Pistolen, Pistolen.
KURTWOOD SMITH, ROBOCOP
D ie Sache fing an, interessant zu werden. Der Vater, Jonathan, kniete im Unterhemd vor seiner Frau; in ihren zitternden Händen hielt sie zwei Steakmesser, die Mündung einer 38er im Nacken. Beide weinten. Die Kinder ebenfalls. Sie hockten aneinandergeklammert auf einer kleinen Decke mitten im Zimmer, zusammen mit Jane, die ihre Arme um sie geschlungen hatte und sie zur Beruhigung drückte, während von einer Hand ihre 38er herabbaumelte.
Die Ehefrau sagte immer wieder: Bitte, bitte, bitte , und der Mann, der Philip Kindred spielte, sagte die üblichen Dialogsätze auf, die aus Abschriften von Interviews mit Überlebenden stammten:
Du bist eine gute Mama. Eine gute Mama tut das für ihre Kinder. Halt die Klappe, Daddy. Du bist ein böser Daddy. Du musst bestraft werden, Daddy!
Dabei handelte es ich um eine hirnrissige Wunscherfüllungs-Wiedergutmachungs-Fantasie,
die Philip Kindred sich zusammengereimt hatte, um seine kleine Schwester aufzubauen. Indem er den tatsächlichen Ablauf ihrer Erlebnisse so abwandelte, dass Daddy Mama nicht das Genick brach und Mama es irgendwie schaffte, Daddy zu überwältigen und siebenundvierzig Mal mit einem hochwertigen Steakmesser auf ihn einzustechen.
Darum musste er Evelyn Hunter zwingen, ihrem Mann, Jonathan, immer wieder in die nackte Brust zu stechen.
Der Mann, der Philip Kindred spielte, trug seinen Text voller Elan vor. Doch es war schwer, daran zu glauben, die Sätze wirklich mit Leben zu erfüllen , denn er wusste genau, wie die Sache enden würde. Schließlich hatte er auch den Rest des Drehbuchs gelesen.
Ausgeschlossen, dass Evelyn Hunter ihrem Mann Jonathan in die Brust stach. Ausgeschlossen. Selbst wenn es um das Leben ihrer Kinder ging. Mann hatte die statistische Wahrscheinlichkeit mit 0,5 Prozent beziffert. Nein. Ihrem psychologischen Profil zufolge würden die Hunters lieber zusammen sterben, als mit dem Tod eines weiteren Familienangehörigen weiterzuleben, der auf ihrer Seele lastete.
Nachdem er also seinen ganzen Text aufgesagt hatte und alle Tränen vergossen waren, sollte der Mann, der Philip Kindred spielte, abdrücken und Evelyn Hunter eine Kugel in den Hinterkopf jagen. Und dann Mr. Hunter zweimal in den Brustkorb schießen, mitten ins Herz.
Anschließend sollten sie durch den Hinterausgang verschwinden. Man hatte alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, dort wartete abfahrbereit, der Schlüssel im Schloss, ein Krankenwagen.
Und die Kinder?
Wieder hatte die Frau, die Jane spielte, es leicht. Die Kinder mussten unter allen Umständen am Leben bleiben, denn die Kindreds töteten nie Kinder – wahrscheinlich identifizierten sie sich viel zu sehr mit ihnen. Das war zwar grausamer als die Alternative: sie ebenfalls zu töten, nachdem sie
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