Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
Vom Netzwerk:
Himmel schimmert über den Hügeln am linken Ufer der Ria. »Man muss das genießen, wenn der Blick so offen ist.«
    Verwirrt blicke ich ihn an, prüfe seine Konturen in der Dunkelheit.
    »Manchmal lebt man lange ohne Ausblick. Ohne den Horizont zu sehen.« Er lacht auf.
    Der Fremde ist breit, aber nicht fett, die Nase leicht gekrümmt, der Hals faltig wie der eines Leguans. Ich schätze ihn auf Mitte fünfzig.
    Mir ist die Situation unheimlich. Worauf will er hinaus? Was bezweckt er mit seinen Bemerkungen? Dass es Situationen gibt, in denen man den Horizont nicht sieht, ist in der Region um X eine recht eindeutige Anspielung – ein Hinweis auf das Gefängnis.
    Schnell gehe ich in Gedanken durch, wer von meiner neuen Wohnung weiß. Ich habe kaum jemandem von meinem Umzug erzählt. Montserrat fällt mir ein, die immer noch im Urlaub ist, ihr Bruder Antonio, Bauer auf einem abgelegenen Hof, der Vermieter, mit dem ich telefonisch von Deutschland aus alles besprochen habe.
    Jemand muss mir gefolgt sein.
    »Wohnen Sie hier?«, frage ich.
    »Nein, auf dem Land, der Horizont ist dort weiter«, sagt er und schaut, als würde er wissen, was ich denke.
    Er weiß es.
    »Wenn ich Polizist wäre«, fügt er hinzu, »würde ich dich nicht in der Dunkelheit ansprechen müssen.«
    Ich nicke, meine Skepsis bleibt. Stumm suche ich nach einem Zeichen, das mir Klarheit verschaffen könnte. Die Schuhe des Fremden fallen mir auf, abgelaufene Halbstiefel, wie sie hier viele zum Wandern tragen. An den Absätzen ein Büschel Gras, als wäre er über einen Feldweg gekommen.
    Er fragt nach einer Zigarette. Auch wenn mir seine Nähe unangenehm ist, schlage ich ihm die Bitte nicht aus.
    »Du hast angeboten, uns zu helfen?«, sagt er schließlich.
    Ich mache ein verständnisloses Gesicht.
    »Du weißt nicht, wer ich bin. Und ich weiß auch nicht wirklich, wer du bist. Aber das, was ich dir jetzt sage, müsste dir helfen, mich einzuordnen.«
    »Was soll dieses Spiel?«, antworte ich gereizt. »Wovon reden Sie?«
    »Du hast einem Freund gesagt, du könntest helfen. Es gibt da tatsächlich etwas … ein anderer Freund …« – er redet auf Spanisch, aber das Wort Freund sagt er in der marginalen Sprache, laguna, das gleiche Wort wie im Liedtitel, wie in Sarrionandias Roman – »… lässt dir ausrichten, das Kokoswasser habe gut geschmeckt damals in Amazonien am Strand.«
    »Strand?«, sage ich. »Am Amazonas gibt es Dschungel, keinen Strand.«
    »Keine Ahnung. Das soll ich dir ausrichten. Und ich soll dich fragen, ob du endlich diesen Houellebecq gelesen hast.«
    Ich schweige, lange. Vielleicht drei Minuten. Ich habe niemandem von meinen Treffen mit Zubieta erzählt. Niemandem, nicht einmal Montserrat.
    Dunkelheit wie flüssiges Schwarz. Nur an der Ecke wirft eine Neonlampe im Schaufenster einer Fleischerei einen kalten, rosafarbenen Lichtkegel. Die elektronische Musik aus dem Haus gegenüber ist verstummt, dafür hört man aus mehreren Fenstern das Geplapper von Fernsehern. Musikshow-Geschwätz, spanischsprachig.
    »Woher willst du wissen, dass ich kein Handy bei mir habe?«, sage ich.
    Der Fremde weiß, was ich meine: Mit einem Handy lässt sich nicht nur der Aufenthaltsort des Besitzers ständig überprüfen, es kann auch als Mikrofon benutzt werden, um Unterhaltungen mitzuschneiden. Das Handy ermöglicht die umfassende Kontrolle eines Menschen.
    »Hast du eins?« Der Mann mit dem Leguanhals kneift die Augen zusammen.
    »Nein.«
    »Glück gehabt … Außerdem, so richtig konkret war es ja noch nicht.«
    »Wie konkret kann es denn werden?«
    »Du hast ein Auto?«
    Ich nicke.
    »Mit deutschem Kennzeichen?«
    »Berliner Kennzeichen«, antworte ich.
    »Unser gemeinsamer Freund fragt, ob du ihn fahren kannst. Ein paar Tage über die Halbinsel.«
    Meine Zähne beginnen zu klappern, die Hände fühlen sich feucht an, mir ist kalt, obwohl es nicht kalt ist. Über die Halbinsel, das ist Wahnsinn. Zubieta ist die meistgesuchte Person auf dieser Seite der Grenze. Trotz der islamistischen Anschläge vom 11. März 2004. Andererseits gehört er zu den Leuten, die einem nie etwas ausgeschlagen haben.
    »Keine Toten«, sage ich.
    Der Fremde lächelt spöttisch. »Wir haben seit drei Jahren niemanden mehr getötet.«
    »Keine Waffen.«
    »Das kann ich nicht versprechen.«
    Zubieta hätte Karriere machen können. Theaterregisseur werden oder Filme drehen, für eine Kulturbehörde arbeiten oder an der Universität unterrichten können. Alle hielten ihn für

Weitere Kostenlose Bücher