Der bewaffnete Freund
Universität habe ich ständig mit Menschen zu tun, die nichts verstehen, obwohl sie sehr belesen, sehr gebildet sind. Aber ohne geht es eben auch nicht.
»Ja, freundschaftlich«, sage ich schließlich.
Die Verabschiedung von Josu und der Frau wenig später ist kurz, aber nicht unherzlich. Trotz Fantasy-Romane und des Geredes vom Krieg.
Wir fahren den Kiesweg hinauf, entdecken auch an der Auffahrt zur Landstraße nichts Ungewöhnliches, rollen wieder an verfallenen Scheunen und abgeernteten Feldern vorbei.
»Ist doch Scheiße«, sagt Zubieta, »was Europa aus diesen Dörfern gemacht hat. Die meisten Höfe sind pleite, die Ortschaften werden in Feriensiedlungen umgewandelt, den Rest erledigt die Immobilienspekulation. Das zivilisierte Europa kolonisiert seine Ränder.«
»Jetzt willst du, dass alles bleibt, wie es war?« frage ich.
»Willst du, dass alles 50 wird?«, gibt er die Frage zurück.
»Die Leute kaufen sich halt eine Hütte im Grünen, wenn sie das Geld dazu haben. Machen eure Leute daheim auch.«
»Ist daheim auch Scheiße.«
Ich schweige, Zubieta kramt eine CD aus der Tasche – in der marginalen Sprache gesungener Punkrock aus den achtziger Jahren. Ich erinnere mich an eine Bemerkung Rabbees: »Manche Menschen entwickeln sich überhaupt nicht weiter.« Obwohl Rabbee für Zubietas Musikwahl vielleicht sogar Sympathie hegen würde. Seit ein paar Monaten interessiert er sich auffallend für das Revival von Sex Pistols, Exploited und Dead Kennedys.
Zubieta lotst mich zügig Richtung Autobahn, und meine Unsicherheit nimmt zu. Dank moderner Mauttechnologie ist das Autobahnnetz heute flächendeckend überwacht. Sie können jederzeit überprüfen, wo sich ein Auto befindet und wer darin sitzt.
»Erzähl mir was von deiner Tochter.«
Ich habe am Vorabend von Hanna, Katharina und unserem schwierigen Verhältnis gesprochen.
Rabbee habe ich unerwähnt gelassen. Ich weiß nicht, wie Zubieta darauf reagieren würde.
»Sie malt gern«, setze ich umständlich an, »sie hat eine Katze, ihre Haare sind ungefähr so hell wie deine jetzt.«
»Eine richtige Blondine wie ich?« Zubieta zieht eine Zigarette aus seiner Schachtel. Auch in dieser Hinsicht hat er sich seit den achtziger Jahren nicht weiterentwickelt. Er fragt gar nicht erst, ob er im Auto rauchen kann. Er öffnet das Fenster einen winzigen Spalt und steckt sich die Zigarette an.
»Und was für ein Typ ist sie, glaubst du?«
»Typ?« frage ich. »Was meinst du mit Typ?«
»Was für einen Charakter sie hat.«
»Keine Ahnung. Sie ist doch noch ein Kind.«
»Auch Kinder haben Charakter«, wirft Zubieta ein.
»Ich weiß nicht …«, ich überlege. »Sie ist ruhiger als ihre Mutter.«
Vielleicht, denke ich erschrocken, weiß ich über Hanna wirklich nicht mehr, als ich gesagt habe: sie liebt ihre Katze, hat blonde Haare, malt gerne, ist ruhiger als ihre Mutter.
»Du hast ja gar keine Ahnung von Kindern«, stellt Zubieta lachend fest.
»Immerhin habe ich im Gegensatz zu dir eins«, erwidere ich.
Zubieta zieht an der Zigarette und atmet aus. Dabei lächelt er fast unmerklich. Nur eine winzige Bewegung der Mundwinkel.
Wir erreichen die A-9, die an der Mittelmeerküste entlangführt. Schon von weitem sehe ich die Kamera, die hinter der Mautschranke steht und in die man als Fahrer geradewegs hinein blickt. Hektisch fordere ich Zubieta auf, den Beifahrersitz nach hinten zu stellen und sein Gesicht abzuwenden. Mit einem demonstrativen Lachen, der Spott ist nicht zu überhören, kommt er meiner Bitte nach. Er sagt, ich würde übertreiben.
»Die haben keine Ahnung, wie ich aussehe. Die Fotos, die sie haben, sind zwanzig Jahre alt.«
Ich jedoch denke nur daran, dass die Kontrollpunkte und Mautstationen Richtung Grenze immer zahlreicher werden.
Das Pays d’Oc präsentiert sich ausgetrocknet, aber nicht staubig. Als Jugendlicher war ich regelmäßig hier, von Freiburg aus konnte man in acht Stunden heruntertrampen, es war die schnellste Route zum Meer. In der Nähe von Montpellier war ich das erste Mal allein unterwegs, schlief ich das erste Mal mit einem Mädchen in einem Bett, nahm ich den einzigen LSD-Trip meines Lebens. Und auch Zubieta habe ich hier besucht. Bevor er sich nach Lateinamerika absetzte, wohnte er ein paar Monate in Nimes, in der kleinen Wohnung eines alten Trotzkisten. Der siebzigjährige Mann lebte in einem Zimmer, wie ich es davor nur einmal in einem Post-68er-Film mit Romy Schneider gesehen hatte: über die Farbe der Wände
Weitere Kostenlose Bücher