Der bewaffnete Freund
ließ sich kaum etwas sagen, weil diese vollständig mit Bücherregalen bedeckt waren. Der Alte schien alles zu archivieren, was aus Papier war: Zeitungen, naturwissenschaftliche Magazine, Literatur, philosophische, marxistische und linguistische Studien. Zu allem Überfluss besaß er viele Titel auch noch in drei Sprachen, denn der Alte hatte sich darauf kapriziert, Übersetzungsfehler in Klassikern ausfindig zu machen und aus ihnen fragwürdige Theorien über den Verlauf der Wissenschaftsgeschichte abzuleiten. Zubieta behandelte er, trotz offensichtlicher Meinungsverschiedenheiten, wie einen Sohn. Er hatte ihm das Wohnzimmer überlassen, in dem sich, abgesehen von den Büchern, nur ein abgewetztes Sofa und ein mit Zeitungsausschnitten übersäter Spanholztisch befand, gab ihm literarische Originalausgaben aus dem 19. Jahrhundert zu lesen und versorgte ihn täglich mit Informationen zur innenpolitischen Situation in Frankreich. Mit seiner bedingungslosen Hilfsbereitschaft wirkte der Alte fast ein wenig jämmerlich – wie jemand, der um jeden Preis Anschluss sucht. Und ich glaube, dass sich Zubietas Notlage in diesen Monaten auf unheilvolle Weise mit der nicht zu übersehenden Einsamkeit des Alten verband. Das Geflecht von Abhängigkeiten und erzwungener Nähe, der Wunsch nach Freundschaft, vielleicht sogar Familienersatz und enttäuschte Hoffnungen trieben konsequent auf eine Katastrophe zu. Tatsächlich ging Zubieta am Ende im Streit.
Und für einen Augenblick frage ich mich, ob ein Fremder mein Verhältnis zu Zubieta wohl auf ähnliche Weise als ein Zusammenspiel von Projektionen und unhinterfragten Sehnsüchten beschreiben würde.
Wir fahren nach Süden, das Licht wölbt sich an der getönten Windschutzscheibe und bildet einen grellen Kranz, einen Kanal aus Helligkeit, durch den der Wagen hindurch aufs Ungewisse zurast. Ich habe Angst.
Um mich abzulenken, spreche ich von Sarrionandias Roman. Ich sage, dass er mich berührt hat wie lange kein Buch.
»Es ist sein bestes«, gibt mir Zubieta recht.
»Ich habe an dich gedacht.«
»An mich?«
»Bei der Hauptfigur. Dem Mann, der gefriert, der sein Gedächtnis und seine Sprache verliert. Wie er stumm erst durch die Karibik, dann die südamerikanische Pazifikküste in Richtung Antarktis hinunter fährt. Ich habe mir vorgestellt, du wärst es, der da unterwegs ist.«
»Ja, unser guter Sarri muss viel rumgekommen sein«, antwortet Zubieta unbestimmt.
»Und was hast du so geschrieben?«, frage ich.
»Ich glaube, das ist intern.«
»Du schreibst keine Theaterstücke mehr?«
»Strategiepapiere.« Der Freund lächelt. »Ich schreibe Strategiepapiere … und Erklärungen.«
»Der Mist ist von dir? Du hast dich doch früher immer darüber lustig gemacht – über das Pathos der Agitation.«
»Wenigstens ist das Pathos jetzt grammatikalisch korrekt.«
»Du vergeudest dein Talent.«
Er zuckt mit den Achseln. »So viel Talent war es ja nicht.«
Ich schweige eine Weile. Wie überholen ein paar niederländische LKW, die Konvoi fahren. Auf ihren Kabinen kleben die schimmernden Hologramme nackter Frauen. Die langen Beine schimmern in der Sonne.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum du nicht in Bra silien geblieben bist. Früher oder später schnappen sie euch alle, und dann verurteilen sie euch zu 50, 250, 4000 Jahren Haft. Warum machst du das? In Brasilien hättest du glücklich sein können. Du hättest schreiben und Landbesetzern was Sinnvolles beibringen können.«
»Man kann nichts gewinnen, wenn man nichts riskiert.«
»Riskieren«, murmele ich. Am Straßenrand fliegen Verkehrsschilder vorbei, die auf Autobahnabfahrten oder die nächsten Reiseziele verweisen, und zum ersten Mal ist auch die Grenze vermerkt. ESPAGNE 137 KM steht in großen Lettern auf grünem Grund.
Schweigen. Umso weiter wir nach Süden kommen, desto stiller verläuft die Fahrt. Auf den mit Teer gefüllten Fugen im Straßenbelag hört man das Klicken der Fahrzeugfederung, der Motor brummt dumpf. Zubietas CD ist längst abgespielt, das Radio haben wir ausgeschaltet, weil der Empfang zu schlecht war.
Es rumort in meinem Darm, aber auf eine Raststätte will ich nicht hinausfahren. Wir könnten in eine Kontrolle der Gendarmerie geraten, die hier zwar nicht systematisch fahndet, aber doch immer wieder unerwartet Stichproben macht. Kontrollen, die regelmäßig zur Verhaftung von Angehörigen der Bande führen.
Und aus irgendeinem Grund muss ich plötzlich an Hanna denken.
Als ihr
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