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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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und sagten, dass damit jemand umgebracht worden wäre und dass sie jetzt meine Fingerabdrücke auf der Waffe hätten. Wenn ich im Gericht nicht das aussagen würde, was sie mir eingetrichtert hatten, würden sie mir diesen Mord anhängen und mich nach Salto del Negro bringen. Das ist ein Gefängnis auf den Kanarischen Inseln und hat den Ruf, das schlimmste im ganzen spanischen Staat zu sein. Ich war erleichtert, als sie meine Aussagen hatten und ich endlich von der Polizeiwache ins Gefängnis verlegt wurde.«
     
    »Was sollen wir jetzt machen?«
    Wir stehen am Straßenrand, der rechte Hinterreifen ist geplatzt. Das Gewinde des Wagenhebers ist beim Anheben des Renaults durchgedreht, die Kurbel läuft leer. Wir haben kein Handy, um einen Pannendienst anzurufen, die nächste Ortschaft ist mehrere Kilometer entfernt, jeden Moment kann eine Polizeipatrouille vorbeikommen und überprüfen, was passiert ist. Hektisch durchsuche ich den Kofferraum nach Werkzeug, das den Heber ersetzen könnte.
    Zubieta, der mir mit seinen blondierten Haaren immer auffälliger vorkommt, steht, die rechte Hand in der Hosentasche, neben dem Auto und raucht.
    »Was sollen wir schon machen? Wir besorgen uns einen neuen Wagenheber.«
    »Du kannst hier nicht rumlaufen.« Ich versuche leise zu reden – auch wenn der Lärm der vorbeirasenden Fahrzeuge unsere Unterhaltung überdeckt. »Wir fallen zu sehr auf. Aber beim Wagen kannst du auch nicht bleiben.«
    »Wieso? So als Blondine sehe ich doch wie euer ehemaliger Bundestrainer höchstpersönlich aus. Wie hieß der noch? Der mit den geföhnten Locken? Tante Käthe?«
    »Ich bin jetzt echt nicht in der Laune, Witze zu reißen.«
    »Keine Witze, Mann. Sieh mal. Wir haben eine Panne, das ist alles. Wir haben einen kaputten Wagenheber, also kaufen wir uns einen neuen.«
    »Supereinfach, klar.« Ich merke, wie meine Stimme kippt. »Keine Ahnung, wie lange du schon wieder in Europa bist. Aber das ist nicht Brasilien, okay? Das hier ist flächendeckende Kontrolle.«
    Er schweigt.
    Das Gefühl, dass einen jeden Moment eines der Fahrzeuge anfahren könnte. Die Sportautos, Familienmodelle, Campingfahrzeuge, Kühllastzüge.
    Es gibt Dutzende von Bandenmitgliedern, die bei Verkehrsunfällen gestorben sind. Unfälle gehören zu den häufigsten Todesursachen in der Illegalität. Man handelt nicht souverän genug, die Panik beeinträchtigt die Reaktionsfähigkeit.
    »Einfach locker bleiben«, sagt er endlich.
    »Hör endlich auf!«, brülle ich ihn an. »Dir ist vielleicht egal, ob sie uns schnappen. Dich kriegen sie sowieso früher oder später. Aber für mich ist das …« Ich spreche den Satz nicht zu Ende. Ich weiß, dass er idiotisch ist. Zubieta würden sie zu zweihundert Jahren verurteilen, ich käme mit etwas Glück mit fünf davon – der Ausländerbonus. Vor Wut schlage ich mit der Faust auf das Seitenfenster.
    »Ich habe eine Tochter«, sage ich in jämmerlichem Tonfall. »Sie ist vier Jahre alt. Da kann ich doch nicht einfach …«
    Das Heulen des Fahrzeugmotors dröhnt in den Ohren. Ich weiß, wir müssen hier weg, schnell eine Entscheidung treffen. Es ist der vorletzte Samstag im September. Vor ziemlich genau 65 Jahren ist Walter Benjamin unweit von hier auf der Flucht gescheitert. Rabbees Walter Benjamin. Ich frage mich, warum ich nicht besser dem Freund nach Berlin gefolgt bin. Es wäre alles einfacher jetzt.
    »Verstehst du?«, wiederhole ich, gegen den Verkehrslärm anschreiend. »Es tut mir leid.«
     
    Ich habe Zubieta überredet, sich hinter einer Böschung in die Obstplantage zu setzen und dort, von der Straße aus kaum zu sehen, auf mich zu warten. Wortlos ist er meiner Bitte nachgekommen, offensichtlich beleidigt wegen meiner Bemerkungen über seine Unvorsichtigkeit und nicht gewillt, weiter über die Situation zu diskutieren. Nun folge ich dem Autobahnzubringer Richtung Küste, wo sich eine unübersichtliche Ortschaft erstreckt, eine große zusammenhängende Feriensiedlung am Mittelmeer. Es ist fast wie bei einem schönen Nachmittagsspaziergang. Die Sonne scheint, die Landstraße ist nur mäßig befahren, von der See streicht eine warme Brise herauf, und tatsächlich legt sich zum ersten Mal in 24 Stunden für einen Augenblick meine Angst. Die Tatsache, dass ich Zubieta zurückgelassen habe und nun wieder ein mehr oder weniger durchschnittlicher Mensch bin, der in jeder polizeilichen Kontrolle bestehen kann, verschafft mir Erleichterung. Aus dem trockenen Grasstreifen neben der Straße

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