Der bewaffnete Freund
Sterne auf blauem Grund.
Vor dem ehemaligen Kontrollpunkt schiebt sich der Verkehr zusammen, und ich nutze die langsamere Fahrt, um mich umzuschauen. Sofort entdecke ich eine Gruppe grünuniformierter Guardias Civiles. Zackige, glattrasierte Gestalten.
Keinen Fehler machen, sage ich mir vor. Keine Auffälligkeiten.
Die Fahrzeugkolonnen rollen in Ortsgeschwindigkeit an den nicht mehr besetzten Kontrollposten vorbei. PKW aus allen Teilen Europas, Kennzeichen in Schwarz, Weiß, Gelb, Rot und Grün, schnelle Sportautos, Familienmodelle, Campingfahrzeuge, Kühllastzüge. Hinter der Windschutzscheibe: Touristen, Heimkehrer, Geschäftsleute, Berufsfahrer.
Schlepper.
Illegale.
Ich wähle die Spur, die von den Guardias Civiles am weitesten entfernt ist.
Und wirklich würdigt man uns keines Blickes.
Hinter der Grenze geht es bergab. Der Wind, der durch das leicht geöffnete Seitenfenster hereinströmt, erzeugt ein scharfes Rauschen im Ohr, ich durchlebe ein Wechselbad der Gefühle: Erleichterung, dass wir die Grenze hinter uns haben, panische Angst, weil wir jetzt in Spanien sind: im Wirkungsbereich der Guardia Civil, einer paramilitärischen Polizeieinheit, die den Staat mit allen Mitteln zu verteidigen weiß – den Mitteln des Ausnahmezustands.
Zubieta starrt aus dem Fenster, ohne eine Bemerkung zu machen. Auch er scheint nicht genau zu wissen, was er von der Situation halten soll. Er hat, wenn es stimmt, was er andeutet, die Grenze zum ersten Mal seit seiner Flucht überquert. Aber ob ihm das eher Genugtuung oder Sorgen bereitet, kann ich nicht beurteilen.
Wir halten uns unauffällig zwischen den Fahrzeugen mit ausländischem Kennzeichen, und ungefähr eine Viertelstunde verläuft tatsächlich alles problemlos. Links das Mittelmeer, rechts die Pinienwälder der Ostpyrenäen; immer wieder von Brandtrassen und Feriensiedlungen unterbrochen. Auch an der ersten Mautstation ist nichts Beunruhigendes zu entdecken. Wir nähern uns unserem Ziel, das Zubieta zufolge 250 Kilometer südlich liegt, also etwa zwei Stunden Fahrt entfernt. Meine Befürchtungen scheinen, wie so oft, übertrieben gewesen zu sein.
Bis plötzlich kurz hinter einer Autobahnauffahrt, direkt neben einer Obstplantage, ein Knallen zu hören ist.
Ich zucke zusammen, der Wagen gerät für den Bruchteil einer Sekunde außer Kontrolle, nur mit Glück gelingt es mir, den Renault auf die Standspur zu manövrieren.
In dem Moment, als der Wagen an Geschwindigkeit verliert und ich in den Rückspiegel blicke, bin ich davon überzeugt, dass man uns getroffen hat.
Dass Zubieta, wie die Person im Traum, blutüberströmt neben mir auf dem Beifahrersitz liegt.
Dass ich verloren bin.
XIV
2005 gibt ein Gefangener zu Protokoll:
»Nachdem sie meine Wohnung durchsucht hatten, brachten sie mich nach Madrid. Auf dem Weg begannen sie, nach Namen zu fragen. Plötzlich wurde einer der Guardias wütend und schlug mich mit einer Zeitschrift oder einem Buch auf das linke Ohr. Die erste ›Sitzung‹ in Madrid begann mit der bolsa, der ›Tüte‹. Ich hatte die ganze Zeit verbundene Augen. Sie zogen mir eine Plastiktüte über den Kopf und hielten sie zu, bis ich dachte, ich würde ersticken.
Ein paar Mal zwangen sie mich, mir die Tüte selbst aufzusetzen, und wenn ich sie nicht richtig zumachte, schlugen sie mich auf den Kopf oder in den Bauch. Während der ganzen Zeit hörte ich die Schreie meines Bruders und meiner Freunde. Es gab viele dieser ›Sitzungen‹, ich weiß nicht genau wie viele. Es ging so lange, bis sie die Erklärung hatten, die sie von mir wollten.
In der Zelle ließen sie mich nicht schlafen. Ich musste Stunden über Stunden mit nach oben gereckten Händen an der Wand stehen. Meine Zehen waren so geschwollen vom Stehen, dass sie bluteten. Als ich dem Haftrichter vorgeführt wurde, musste ich in Socken gehen, weil mir meine Schuhe nicht mehr passten.
Bei einer Sitzung wurden sie noch wütender als sonst und zogen mir immer wieder die Tüte über und schlugen mich auf den Kopf. Ich erinnere mich, dass sie mich an den Ohren packten und ein Stück vom Boden hoch zerrten. Ich hatte große Schmerzen am linken Ohr und höre seitdem auf der Seite nicht mehr gut. Ein anderes Mal haben sie mich am ganzen Körper nass gemacht und mir Elektroden an den Bauch angeschlossen. Einmal haben sie auch geschossen, ich weiß nicht, ob es ein echter Schuss war. Bevor ich dem Richter vorgeführt wurde, legten sie mir eine Pistole in die Hand
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