Der Bienenfresser
Winkel und in der letzten Minute, ich denk mal, das war echt total geil, denn der Gegner wollte ja auch gewinnen, machte auch Druck, aber wir haben dagegen gehalten und selbst Druck gemacht…«
Das Telefon läutete, doch fasziniert von der Sportschau und der Wiederkehr des Ewiggleichen, hob ich nicht ab. Zu müde, zu abgespannt, ich wäre auch nicht zur Tür gegangen, wenn jemand geklingelt hätte.
Aber es gab ja auch Leute, die nicht klingelten, sondern die offene Haustür der ehemaligen Zigarrenfabrik, in der mein Wohnbüro lag, als Einladung betrachteten, einfach die Treppe ins obere Stockwerk hochzumarschieren und meine Bürotür zu öffnen.
Die Tür knarrte ein wenig, ich drehte mich um.
»Hallo«, sagte sie, sonst nichts.
15.
Ganz unverhohlen neugierig inspizierte sie mein Büro, das mir auch als Wohnraum und Schlafzimmer diente, abgetrennt waren lediglich Küche und Bad. Marie Laflör trug ein anthrazitfarbenes Wollkleid, das ihre Figur betonte, und ein Nickituch, wie es jetzt wieder modern war. Mit verschränkten Armen stellte sie sich vor die Regalwand mit den Büchern und betrachtete die Buchrücken: »Ein Detektiv, der Gedichte liest?«
»Meine Frau, meine geschiedene Frau hat sie hier gelassen.«
Sie griff sich einen Band heraus, blätterte darin und las halblaut:
»Sie hatten sich beide so herzlich lieb, Spitzbübin war sie, er war ein Dieb. Wenn er die Schelmenstreiche machte, Sie warf sich aufs Bett und lachte.«
Meine Besucherin sah mich über den Rand des Buches an.
»Gibt es hier nichts zu trinken?«
Es hörte sich etwas aufgesetzt keck an und ich teilte ihr mit, dass ich ein wenig in Zeitdruck sei. »Ich muss morgen sehr früh aus dem Bett, ich meine aus dem Haus, ich fliege für ein paar Tage nach Ibiza.«
»Mörder jagen?« Sie lachte; es war ein offenes, etwas spöttisches Lachen und ich konnte ihre schönen Zähne bewundern.
»Ausspannen.«
Ihr Gesicht bekam einen wehmütigen Ausdruck. »Manchmal möchte ich am liebsten alles hinwerfen, in den Süden fahren, am Strand entlanglaufen, schauen, wie die Sonne untergeht, frühstücken in einem Straßencafé.«
»Hört sich an wie ein Werbespot.«
»Und?«
»Sie haben die Nacht vergessen, wie würden Sie die Nacht verbringen?«
»Schlafen, nur schlafen.«
»Flirten wir jetzt?«, fragte ich; es klang unbeholfen und sie ging auch nicht darauf ein.
»Ich bin gekommen, um Ihr Honorar zu zahlen.«
»Ach, viel habe ich ja nicht getan und ganz abgeschlossen ist die Arbeit ja eigentlich auch nicht.«
»Trotzdem.«
»Da müsste ich erst eine Rechnung schreiben.«
»Die brauche ich nicht.«
Ich dachte an meinen Ärger mit dem Finanzamt und spannte einen Briefbogen in die Schreibmaschine.
Ich bin schon an guten Tagen nicht besonders flink im Tippen; als sie mir jetzt dabei zuschaute und ich ihr Parfüm roch, wollte es gar nicht klappen. Plötzlich wusste ich auch nicht mehr, wie die einfachsten Wörter geschrieben wurden.
Erst schrieb ich Spesen wie Speesen, als hätte das etwas mit dem Grafen Spee zu tun, dann stand da Speisen auf dem Papier, weil ich ans Essen dachte. Ich dachte auch noch an etwas anderes, aber das Wort hatte in meiner Abrechnung nun wirklich nichts zu suchen.
Während der ganzen Zeit stand sie nur da, und ich nahm mir vor, bei einer eventuellen Reinkarnation darauf zu bestehen, als Frau wieder geboren zu werden. Nur dastehen und sich ganz der Wirkung bewusst zu sein. Traumhaft!
»Können Sie auch mit nur einer Hand schreiben?«
Ich konnte. Aber ich wollte nicht. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass sie meine Klientin war, dass ihr Mann in
Untersuchungshaft saß, dass sie einen kleinen Sohn hatte, dass es so etwas wie Ethik auch in meinem Beruf gab und die besagte: Lass die Finger von einer Frau, die dich beauftragt hat, die dich bezahlt und die dir vertraut, und zwar so vertraut, wie die Patientin dem Arzt, wie die Studentin dem Professor, wie die Praktikantin ihrem Präsidenten…
All das rief ich mir ins Gedächtnis.
Doch während meine linke Hand noch die freudsche
Fehlleistung »Betrug dankend erhalten« aufs Papier brachte, hatte sich meine rechte schon von der
Schreibmaschinentastatur entfernt, war wie absichtslos abgerutscht, hatte ein wenig in der Luft herumgewedelt, um sich schließlich auf ihrer Hüfte niederzulassen.
»O je, ›mit freundlichen Grüzsen‹ – ist das die neue Rechtschreibung?«, fragte sie.
16.
Irgendwann war ich dann wieder allein in meinem Büro, saß auf demselben Platz,
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