Der Bienenfresser
ich Ende der Sechziger. Die Insel war voller Hippies, meist Amerikaner. Verrückte Typen darunter, Maler, Kriegsdienstverweigerer, die nicht nach Vietnam wollten, Söhne reicher Eltern, die ihre monatlichen Überweisungen erhielten, damit sie sich nur ja nicht zu Hause blicken ließen. Abenteurer, Scharlatane, Tunichtgute, Tagediebe, aber auch Typen mit Ideen. Clifford Irving war einer davon. Den Namen schon mal gehört?«
»Musiker?«
»Schriftsteller, der die Memoiren des schrulligen Milliardärs Howard Hughes fälschte und einen Riesenvorschuss
kassierte.«
Vorschuss kassieren, das klang gut in meinen Ohren.
»Interessant«, sagte ich.
»Ja, so interessant, dass die Sache verfilmt wurde.« Quast erzählte mir den Inhalt des Films und weitere Anekdoten aus der guten, alten Hippiezeit. Meine neue Quelle sprudelte, bis wir die Reisehöhe erreicht hatten, und sie versiegte erst, als das Bordessen serviert wurde.
Zwischen zwei Bissen fragte Quast: »Und Sie?«
»Ganz normaler Urlauber.«
»Kommen Sie doch mal bei mir vorbei.« Nachdem die Stewardess das Tablett abgeräumt hatte, gab er mir seine Adresse plus einer Wegbeschreibung.
»Can Parra, Cala d’Hort?«, murmelte ich.
»Ja, ein Haus im Südwesten der Insel, bei San Jose. Ich würde mich freuen.«
In der Ankunftshalle bedankte er sich für meine Hilfe mit dem Koffer. Er lenkte seine Schritte zum Gepäckband, während ich mit dem Handgepäck dem Ausgang zustrebte. Als ich mich dort noch einmal umschaute, beobachtete ich, wie sich der Dicke recht lebhaft mit einem Beamten in grüner Uniform unterhielt.
Vielleicht war die Guardia Civil ja scharf auf Dinkelbrot und Bratheringe.
18.
Den besten Eindruck macht Ibiza-Stadt, wenn man sich ihr vom Meer her nähert, wie das die Fremden seit Jahrtausenden taten, Phönizier, Römer und Wandalen, Franken, Mauren und Festlandspanier. Aber auch jene Besucher, die in den dreißiger Jahren gekommen waren, unter ihnen Walter Benjamin und Raoul Hausmann, werden wohl als Erstes den
unverwechselbaren Stadthügel gesehen haben, mit seinen verschachtelten Häusern, weiß und ockerfarben, mit der mächtigen Festungsmauer auf halber Höhe und der Kathedrale als Krone; im Hintergrund der blaue Himmel, im Vordergrund das nicht ganz so blaue Hafenwasser, dazu Fischerboote, Ausflugsschiffe und Jachten – eine ausgesprochen malerische Stadtansicht…
Ungefähr so hatte es in einem Reiseführer gestanden.
Wer sich jedoch, wie die allermeisten Touristen, der Stadt von der Landseite her nähert, der bekommt zunächst einen ganz anderen Eindruck. Die Zufahrtsstraße vom Flughafen führt durch ein Gewerbegebiet mit vielen hässlichen Zweckbauten, mit Werkstätten, Getränkegroßhändlern und lieblos hingeknallten Wohnblöcken. Die gerodeten Felder zwischen den Betonkästen, die wenigen verbliebenen Mandelgärten, einzelne Olivenbäume sowie die Reste von Fincas mildern die Enttäuschung des Besuchers nicht, im Gegenteil, sie verdeutlichen den ernüchternden Eindruck.
Denn die Überbleibsel lassen ahnen, wie schön es hier früher einmal gewesen muss. Schon bei meinem allerersten Besuch hatte ich gedacht, dass die Stadt schneller gewachsen war, als es ihrem Gesicht gut tat. Damals hatte es geregnet. Doch jetzt, rund ein Jahr später und bei strahlendem Sonnenschein, fühlte ich mich bestätigt.
Der Taxifahrer fuhr mich zum Hotel Montesol, kassierte den Fahrpreis und wünschte mir, sobald er das Trinkgeld in der Handfläche spürte, auf Englisch einen schönen Urlaub.
Ich brachte meine Reisetasche auf das Zimmer im dritten Stock, duschte mich und ging wieder hinab.
Auf der Hotelterrasse saßen Touristen in kurzen Hosen, die heimliche Blicke zu exotisch gekleideten Langzeiturlaubern warfen und wohl auch das eine oder andere häufig in der Klatschpresse abgelichtete Gesicht erkannten. Dazwischen junge spanische Geschäftsleute, die sich völlig auf den kleinen schwarzen Kaffee und ihr Mobiltelefon konzentrierten. Weder die Gäste links und rechts von ihnen noch die schönen Bürgerhäuser auf der gegenüberliegenden Seite waren ihnen einen Blick wert. War das Überheblichkeit oder
Selbstzufriedenheit? Oder sahen sie darin die einzige Möglichkeit, sich von den Fremden abzugrenzen? Irgendwie angestrengt wirkten sie alle. Und das auf einer Ferieninsel!
Den normalsten Eindruck machten die korrekt gekleideten Kellner, die ihr gemischtes Publikum ordentlich, also mit gleichmäßig verteilter Aufmerksamkeit, bedienten.
Auch das
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