Der Bienenfresser
Hotel Montesol, mit seiner weißen Fassade und den farblich abgesetzten Säulen und Baikonen, hatte Stil und Charme und machte dadurch fehlenden Komfort wett.
Entscheidend aber war für mich, dass es dort stand, wo Ibizas Herz schlug, am Paseo de Vara de Rey. Dass über die Flanierstraße auch Mofas knatterten, störte wahrscheinlich nur Leute, die sich wirklich erholen wollten. Ich aber war ja hier, um Informationen zu sammeln.
Ich zahlte meinen Milchkaffee und die luftig leichte,
›ensaimada‹ genannte Hefeschnecke, die mir den
Inselgeschmack auf die Zunge hatte bringen sollen.
Im Hotelzimmer ging ich die Notizen durch, die ich mir über Dora Klugmann gemacht hatte, nachdem Verena mein Büro verlassen hatte. In ihrem Beisein hatte ich mir nur den Nachnamen und ein paar biografische Daten von Dora aufgeschrieben. So mache ich das immer, auch bei Klienten, die ich nicht kenne. Längere Notizen stören nur den Redefluss.
Verena hatte dann doch noch einigermaßen ausführlich erzählt, hatte berichtet, dass Dora Klugmann eine Neigung zu Esoterik hatte – Pendel, Pyramiden, Tarot –, dass sie in keiner festen Verbindung lebte und sich stattdessen, häufig und oft wahllos, einen Mann fürs Bett suchte. Das würde auch mir eine Chance geben, hatte Verena lachend gesagt; natürlich war das ironisch gemeint gewesen, aber ich hatte noch einen Unterton in ihrer Stimme bemerkt. Perücken sollte Dora auch gern tragen und überhaupt zu Verkleidungen neigen, was meine Arbeit nicht erleichtern würde, zumal auf einer Insel, wo sich selbst die Pauschalurlauber verkleideten, wo sich Männer in Fummeltrinen verwandelten und Hausfrauen für eine Nacht die Lederlesbe herauskehrten.
Wenn man den Reiseberichten Glauben schenken konnte, die gern den herrlich schlechten Ruf der Insel vermarkten, musste Ibiza ein einziges Sündenbabel sein. Mal sehen, ich würde mir einen eigenen Eindruck verschaffen. Später.
Jetzt war Mittagszeit. Ich sperrte die Sonne aus, indem ich die Vorhänge zuzog, und legte mich aufs Bett. Marie Laflör kam mir in den Sinn, gern hätte ich sie jetzt bei mir gehabt.
Mein Wunsch war so groß, meine Fantasie so lebhaft, dass ich sie zu hören glaubte. Seltsamerweise sprach sie spanisch, dazu noch mit einer Männerstimme: »… nunca in mi vida… bueno, si, muy bueno… asi, asi, nunca in mi vida…!«
Keuchen. Stöhnen. Weitere Männerstimmen: »Aiii… aiii!«
Es klang wie Eselsgeschrei. Und es kam aus dem
Nebenzimmer. Wie hatten sie es fertig gebracht, einen Esel ins dritte Stockwerk zu schaffen? Oder wurde da gequält, gefoltert? Ein Verbrechen?
Dann hörte ich durch die Zimmerwand, wie ein Bett knarrte, und mir wurde klar, dass dort jemand mit Nachdruck verwöhnt wurde, von mindestens zwei Typen. ›Nunca in mi vida!‹ Hieß das nicht so viel wie ›Noch nie in meinem Leben‹? Welch lebensfrohe Stadt! Und das zur heiligen Siesta, während die korrekt gekleideten Kellner Tabletts mit eisgekühlten Getränken schleppen mussten, hin zu gelangweilten Residenten, sonnengebräunten Touristen und bleichen telefonierenden Angebern.
Ich schaute auf die Uhr. Halb fünf. Die Geschäfte öffneten wieder. Zeit zum Aufstehen.
19.
Als ich den Schlüssel abzog, öffnete sich die Tür des Nachbarzimmers. Die Frau, die auf den Flur hinaustrat, hatte in etwa meine Größe und trug ein mit Pailletten besetztes Oberteil, das eine Schulter zur Schau stellte, und zwar von einer Breite, wie man sie bei den Weltmeisterschaften im Lager der chinesischen Schwimmerinnen bewundern konnte.
Ihre Augen leuchteten unter Wimpern von der Größe solider Nagelbürsten.
»Hola!«, sagte sie mit der Stimme eines Synchronsprechers für Westernhelden, gab ihrer gepolsterten Hüfte einen Schwung und stöckelte vor mir zum Aufzug, wo sie einen ihrer roten Pumps in die Lichtschranke hielt und so die Tür für mich blockierte.
»Gracias!«
»De nada!«, sagte die Dame mit der tiefen Stimme.
Ich ließ das Inselleben an mir vorbeirauschen. Auf der so genannten Rennmeile zwischen dem Hotel Montesol und dem Molenkopf am östlichen Ende der Altstadt reihte sich Bar an Bar, dazwischen Restaurants und Boutiquen, und aus allen Eingängen dröhnte Musik. Ein bunt gemischtes Völkchen machte hier die Nacht zum Tage. Später verschob sich die Szene zu den stadtnahen Tanztempeln Pacba oder El Divino, wo sich neuerdings die Prominenten sehen ließen. Diese Art von Informationen erhielt man schnell.
»Hingehen darfst du aber erst ab drei oder
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