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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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wie ein Lasso.
    Wie sollte ich ihn aufhalten?
    Die Kette sauste nieder, ich nahm meinen Kopf zur Seite und er traf meinen Arm. Das Messer tat seine Arbeit.
    Als er das zweite Mal ausholen wollte, hielt ich ihm das Ohr entgegen. Es war wie die Szene aus einem Horrorfilm, wenn der bedrohte Darsteller, mit dem Rücken bereits an der Wand, dem angreifenden Blutsauger das Kruzifix entgegenhält. Diese Gedanken kamen mir erst viel später, denn in dem Moment war ich zu sehr beschäftigt. Jedenfalls zeigte das abgeschnittene Ohr die gleiche Wirkung: Butscher erstarrte mitten in der Bewegung.
    »Mach meine Maschine an«, rief ich dem Mädchen zu. Ich schätzte sie als die Klügste der Gruppe ein.
    Während die anderen mich mit aufgerissen Augen anstarrten, handelte sie.
    »Und jetzt bring die Maschine zu mir«, bestimmte ich.
    Sie tat es.
    Ich drückte ihr das Ohr in die Hand, schwang mich auf meinen japanischen Joghurtbecher und legte, verfolgt von ohnmächtigem Wutgeheul, einen sauberen Start hin. Ein paar Steine flogen mir nach, dann war ich außer Reichweite.
    32.
    Auf dem Feld hinter der nächsten Kurve bemerkte ich einen Bauern, der Strohballen auf den Anhänger eines kleinen Treckers lud. Als ich vorbeifuhr, hob er die Hand an seine feuerrote Schirmmütze mit dem Aufdruck Ferrari. Er musste den Zwischenfall beobachtet haben. Aber er hatte ja auch andere, bis vor Jahren noch ungewohnte Dinge zu sehen bekommen, Frauen, nur mit einem Bikini bekleidet in der Dorfkirche, völlig nackte an den Stränden, Männer in Kleidern, Kinder, die Drogen nahmen. Es waren alte, wissende Augen und das Lächeln auf seinem Gesicht sagte: Hombre!
    Ausländer! Was die doch für Sachen machen!
    Die Sonne senkte sich, das Glockenbimmeln einer
    Ziegenherde drang an mein Ohr.
    Der Holperweg mündete in eine befestigte Straße. Unter den Rädern meiner Maschine surrte der Aspahlt. Das gleichmäßige Geräusch beruhigte mich, mein Puls pendelte sich auf ein normales Maß ein. Zeit und Muße, um in Gedanken eine erste Bilanz zu ziehen.
    Auf die gute Seite legte ich die fünf Tausender der Anzahlung, auf die schlechte kamen meine Bekanntschaft mit den Ratten und mein vom Schlag mit der Kette schmerzender Arm. Berufsrisiko. Dem Arbeiter im Hüttenwerk spritzt glühende Schlacke an die Stirn, dem Dreher schneidet der Grat am Werkstück die Fingerkuppe ab und selbst der Bauer lebt nicht ungefährlich, fällt betrunken vom Traktor oder kommt mit dem Arm in die Häckselmaschine; von den unglücklichen Millionären gar nicht erst zu reden, die immer jemanden kennen, dessen Jacht einen Meter länger, dessen Mätresse wollüstiger ist.
    Fazit: Bis jetzt konnte ich zufrieden sein.
    Oder doch nicht so ganz?
    Denn kaum verschwindet das Adrenalin aus den Adern, steigen Ängste und Bedenken hoch. Der Rocker, dem nun ein Ohr fehlte, war mir bestimmt alles andere als wohlgesonnen, sicher sann er bereits auf Rache.
    Die Insel verlassen. Was hielt mich noch?
    Mein Auftrag war erledigt, ich hatte Dora gefunden. Aber ich verstand sie nicht. Unterzog man sie einer Gehirnwäsche, stand sie unter Drogen? In ihren dunklen, auf den ersten Blick ausdruckslosen Augen hatte ich ein seltsames Flackern bemerkt. Wurde sie weiter mit Kokain versorgt? Oder war sie auf Entzug? Vielleicht konnte ich sie ja irgendwann einmal dazu befragen.
    Abreisen? Ja! Doch da war ja noch die Einladung zur Feier in der Villa des Dicken. Mein Abschiedsbonbon.
    Ich stellte das Motorrad vor dem Hotel ab, ging schräg über die Straße zu einem Reisebüro und buchte den Rückflug nach Düsseldorf.
    In meinem Zimmer empfing mich die schwüle Hitze des Tages. Ich stellte den Ventilator an, der die Luft verteilte, aber kaum für Kühlung sorgte. Auch das Duschwasser war lauwarm. Auf meinem Oberarm zeigten sich bereits gelbe Flecken, die sich in den nächsten Tagen erst grün und dann blau verfärben würden. Ich wusch das getrocknete Blut von der Klinge und steckte das Messer zurück in den Stiefelschaft.
    Wenn die Höllenengel sich beeilten, konnte ein guter Arzt das Ohr retten.
    Um mich auf andere Gedanken zu bringen, zog ich das Telefon heran.
    Bereits nach dem zweiten Klingeln war Marie am Apparat.
    Als ich meinen Namen nannte, atmete sie hörbar auf.
    »Marie, was ist?«
    »Ich hatte schreckliche Träume letzte Nacht. Du warst in Gefahr, mal haben dich wilde Tiere verfolgt, dann bist du in einen Abgrund gestürzt, ich stand unten und wollte dich auffangen, aber du bist mir durch die Hände

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