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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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vor.
    Hier nehmen Sie, Süßes ist gut für die Nerven.« Sie überließ mir den halben Keks.
    Ihre Warnung war berechtigt. Don Jaime rezitierte seine Werke zunächst auf Spanisch, dann auf Katalanisch, worauf Bodo Quast ins Englische und anschließend ins Deutsche übersetzte.
    Langsam bekam ich Platzangst, zumal die Gedichte mir seltsam bekannt vorkamen, egal in welcher Sprache.
    Wer jetzt kein Geld hat, findet keines mehr.
    Wer jetzt noch arm ist, wird es lange bleiben, wird schuften, rackern…
    Das zog sich. Mir juckte der Arm, dann brach mir der Schweiß aus. Ich blieb dennoch. Es wäre unhöflich gewesen, dem Gastgeber gegenüber. Außerdem wollte ich nicht uncharmant sein zu einer Dame, die mich mit Süßigkeiten fütterte und treffende Kommentare lieferte.
    Jedes Gedicht geht mal zu Ende. Bodo Quast kam auf mich zu, warf einen amüsierten Blick auf die Glitzerdame, die einen Schritt zur Seite trat, und sagte: »Na, schon Kontakt aufgenommen?«
    »Sie hat mich mit Nachtisch versorgt.«
    »Aber das Beste kommt sicher wohl noch, ha.« Er kniff mir ein Auge zu.
    »Und sie hat mir erzählt, dass Don Jaime in Deutschland studiert hat.«
    »Stimmt, wir kennen uns aus Düsseldorf.«
    »Warum hat er eigentlich bei Frau Hagen-Anglassa vom Institut Ibosim ein gutes Wort für mich eingelegt?«
    »Weil ich ihn darum gebeten habe. Sie müssen wissen, ich bin mehr als nur ein Bekannter von Don Jaime, ich bin sein Freund. Don Jaime schätzt die deutschen Tugenden wie Sauberkeit, Effizienz und Zuverlässigkeit. Was wollten Sie eigentlich in dem Institut?«
    »Ich verspürte eine Sinnkrise.«
    »Und – konnte man Ihnen helfen?«
    »Ich soll meinen Schlafraum nach Feng-Shui ausrichten und den Schreibtisch mit Kupferdrähten erden, um mich vor ungünstigen Energiefeldern, bösartigen Erdstrahlen und hinterlistigen Wasseradern zu schützen.«
    »Verstehe.« Bodo Quast hob den Daumen, doch sein Gesicht drückte Zweifel aus.
    Ich hatte gesehen, wie die Sterne über dem Zauberfelsen Es Vedra ihre Bahnen zogen, ich hatte gegessen und eine Menge Blödsinn gehört. Nun begann ich, selbst Unsinn zu reden.
    Außerdem schien etwas mit meinen Augen und Ohren nicht zu stimmen, ich sah in den Oleanderbüschen bedrohliche Schatten und hörte die Stimmen der Gäste überdeutlich. Einige sorgten sich, ob denn der polnische Regisseur und die lettische Pornodarstellerin tatsächlich noch auftauchen würden, andere hatten andere Probleme: »… der nächste Börsenkrach kommt bestimmt… und auch der Sahara-Regen, der unser frisch geweißeltes Haus mit roten Schlieren überziehen wird… ich lasse immer zehntausend Peseten auf dem Tisch, wenn die Typen kein Bargeld finden, setzen sie dir einen Haufen auf den Keschanteppich…«
    Fehlte nur noch, dass der Geist des Dadaisten Raoul Hausmann auftauchte oder der deutsche Spion samt Monokel und Wehrmachtsknarre.
    Es wurde Zeit, dass ich mich verabschiedete. Bodo Quast, Don Jaime, die Hexe aus dem späten Mittelalter, niemand zu sehen. Durst hatte ich plötzlich, unbändigen Durst. Ein letztes Glas Wasser, dann aber los! Bevor die Schatten mich ansprangen.
    Grelles Licht zog mich an.
    Ein Ring von Zuschauern hatte sich um eine Staffelei gebildet. Im Lichtkegel saß ein Mann, der trotz der Abendwärme mit einem Holzfällerhemd aus Flanell bekleidet war, sich einen Strohhut mit Hühnerfeder aufgesetzt hatte und Kopfhörer trug. Es war der Porträtmaler Kapuste, der sich heute als Schnellzeichner präsentierte. Zur Freude der Zuschauer karikierte er die Anwesenden mit wenigen gekonnten Strichen und schenkte ihnen das Bild.
    Als ich hinzutrat, überreichte er sein gerade fertig gestelltes Werk der Frau im Glitzerkleid. Der übermalte Mund, die langen wallenden Haare, die stark geschminkten Augen mit den nachgezogenen Brauen – gut getroffen. Schon fuhr sein Filzstift wieder über das Papier, ein Gesicht mit langer Nase, eng zusammenstehenden Augen und riesigem Adamsapfel entstand.
    Ein Geier, ein Greifvogel! Sonderbarer noch, dass sich die Linien bewegten wie in einem Trickfilm. Dann stand das Bild wieder still. Wer sollte das sein? Die Zuschauer blickten mich an und lachten.
    Er gab mir das Blatt. »Bitte, der Herr! Una pausa, jetzt eine Pause«, sagte er in seinem Sprachengemisch. Und leise: »Na, haben Sie Donata, haben Sie Dora gefunden?«
    34.
    »Sie sind ja gut drauf«, sagte Kapuste und stellte sein Glas mit Wodka zurück auf den Tresen. Die Oberfläche bestand aus Keramikscherben; die leuchtend

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