Der Bierzauberer
Gebet verschlafen hatten. Dies musste Bruder Thomas dann zum Leidwesen
seiner Mitbrüder befolgen.
Dadurch,
dass das Bier nun länger haltbar war, konnten sich die Brauer die Arbeit ganz neu
einteilen. Mussten sie bis dahin immer dann Bier brauen, wenn ein Ende der Bestände
in Sicht war, konnten sie jetzt in einem regelmäßigen Ablauf Bier herstellen, sogar
etwas auf Vorrat produzieren, unabhängig davon, ob viel oder wenig getrunken wurde;
dadurch geschah es nie wieder, dass kein Bier zur Verfügung stand. Das ganze Klosterpersonal
war von dieser neuen Entwicklung sehr angetan.
Bis auf
Bruder Ansgar von der Backstube. Er wurde von den Brauern immer mit ›Zeug‹ versorgt,
das am Ende der Gärung im Bottich liegen blieb. Mit diesem Zeug konnte er die Brote
auf bessere Art backen als ohne. Nachdem Bruder Thomas und Niklas jedoch mehr und
mehr mit Hopfen brauten, beschwerte sich Bruder Ansgar darüber, dass er das Zeug
nicht mehr zum Backen verwenden könne, weil es so bitter sei.
Äußerlich
eher das Gegenteil von Thomas, überragte Ansgar Thomas um Kopfeslänge. Die Größe
kam allerdings nur von den langen Beinen, sein Rumpf war eigentlich gedrungen. Die
Kutte verhüllte dies aber gnädig. Ansgar war kräftig, ohne dick zu sein, sein kurzer,
dicker Hals ließ den Kopf wie direkt auf die breiten Schultern aufgesetzt erscheinen.
Niklas hatte das Gefühl, dass Ansgar immer an ihm vorbeisah. Seine eng beieinander
sitzenden Augen schielten nämlich leicht. Er mochte ihn von Anfang an nicht.
Als Ansgar
sich zum ersten Mal beschweren kam, brachte er einen seiner Gehilfen mit. Niklas
stellte erfreut fest, dass es der Junge mit den schiefen Zähnen war, den er damals
in Hahnfurt getroffen hatte und der ihm, wenn auch nicht bewusst, den Weg nach Urbrach
gewiesen hatte. Seine Blässe hatte er immer noch nicht abgelegt, in der dunklen
Kutte der Novizen wirkte er wie ein kleines Gespenst.
»Ich bin
Niklas, erkennst du mich wieder?«, fragte er verlegen.
Der Junge
schüttelte zuerst den Kopf, dann besann er sich und grinste:
»Mein
Name ist Bernard. Ich bin der Bäckergehilfe.«
»Und ich
der Brauergehilfe«, erwiderte Niklas stolz.
»Hört
auf, hier Reden zu schwingen«, fuhr Ansgar dazwischen, »ich habe ein ernstes Wort
mit Thomas zu reden.«
Thomas
ließ sich jedoch schnell überzeugen, dass die Brote wirklich nicht so gut schmeckten,
und versprach Ansgar, in Zukunft gelegentlich einen Bottich nach alter Machart zu
brauen.
Für dieses
Bier verwendeten sie aber lediglich die bereits ausgelaugten Treber eines normalen
Bieres anstatt frisches Getreide. Dadurch wurde das Bier dünn, farblos und labberig.
»Anderswo
nennt man dieses Bier Convent, das ist für die Armen und Pilger«, lachte Thomas.
»Zum Brotbacken hingegen ist das Zeug daraus genau richtig.«
Niklas
hoffte in den kommenden Wochen, Bernard ab und zu einmal zu treffen, jedoch der
volle Tagesablauf und die viele Arbeit ließen das nicht zu. Nur beim gemeinsamen
Gebet sah man sich gelegentlich.
Das hopfenlose
Bier nannten sie Gruit. Diesen Namen hatte Thomas einmal einen reisenden Mönch sagen
hören, der zu Besuch im Kloster weilte. Erst später sollte Niklas lernen, dass man
unter Gruit in jeder Region etwas anderes verstand. In jeder Region wuchsen andere
Kräuter, die sich als Bierwürze eigneten, und so hatte jeder Brauer, wie schon seine
Mutter, sein eigenes Gemisch. Eines freilich war allen Gruitbieren gemeinsam: Sie
wurden nach alter Machart, ohne Hopfen, hergestellt.
Eines
Tages sagte Niklas zu Bruder Thomas:
»Wenn
ich einmal größer bin, in ein paar Jahren, dann werde ich diese Hildegard von Bingen
besuchen. Sie scheint viel zu wissen, was uns nutzen kann. Ist es weit nach Bingen?«
Thomas
fing an zu lachen und erwiderte:
»Es ist
nicht nur weit bis nach Bingen, etwa zehn Tagereisen, sondern du kämst auch viel
zu spät. Die edle Hildegard ist schon lange tot. Die Menschen verehren sie dennoch
fast wie eine Heilige.«
Niklas
bat um ein paar Geschichten aus dem Leben von Hildegard. Thomas erzählte, was er
wusste. Und das war nicht wenig.
»Wir haben
in unserer Bibliothek ein paar Aufzeichnungen und Briefe über sie. Hildegard wurde
sehr alt, über 80 Jahre. Sie war Leiterin des Klosters auf dem Rupertsberg bei Bingen
und gründete weitere Klöster. Sie schrieb viel, ihre Werke sind sehr bedeutend nicht
nur für die Kirche, sondern auch für die Wissenschaft und die Medizin. Sie schrieb
neben Gesängen und Visionen auch über die
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