Der Bierzauberer
Milchgesicht kümmern!«, empfand Niklas sofort Sympathie für den schüchternen,
schmächtigen Jungen. Er erinnerte sich an seinen ersten Tag in Urbrach und schwor
sich, ein mindestens ebenso guter Lehrmeister zu sein wie der tote Thomas.
Er war
zwar nur sechs Jahre älter als Albert, aber das störte ihn nicht.
In der
Folgezeit versuchte er, Albert all das beizubringen, was er über das Bierbrauen
wusste.
Albert
zeigte schnell, dass er wissbegierig war und Neues aufsaugte wie ein Schwamm. Durch
das gute Essen hatte er in kurzer Zeit endlich etwas an Körperfülle zugelegt und
bald war er derjenige, der die schwersten anstrengenden Tätigkeiten erledigen konnte.
Er wuchs zu einem äußerst kräftigen Mann heran und war eine echte Hilfe für Niklas
und Peter.
Niklas
ermutigte ihn zur Neugier und dazu, Dinge infrage zu stellen. Dabei half ihm unter
anderem eine Schrift, die er in der Bibliothek des Klosters gefunden hatte und die
er sich vom Librarius ausgeliehen hatte.
Durch
die umfangreiche Bibliothek konnte Niklas zum ersten Mal richtig studieren. Er suchte
alles, was nur im Entferntesten mit Bier und seinen Rohstoffen zu tun hatte.
Er war
dann zu seiner großen Freude auf die Klosterchronik von St. Gallen gestoßen, die
ein gewisser Ekkehard dort zu Anfang des elften Jahrhunderts geschrieben hatte.
Ein großer Teil seiner Schriften handelte vom Essen und Trinken, ganz besonders
vom Bier. Albert und er sogen den Inhalt dieser Schriften förmlich in sich auf.
In jeder freien Minute redeten sie über Rezepte, Verfahren, Getreide und Kräuter.
Sogar über die Planung einer neuen Brauerei wurde heftig diskutiert.
Neben
einer detaillierten Beschreibung der Brauerei erläuterte Ekkehard die angewendeten
Verfahren. In einem alten Plan zeigte er ›Granarium, ubi mundatum frumentum servetur
et quod at cervisam preparatur‹ – Kornspeicher, wo das Getreide gelagert und zu
Bier vorbereitet werden soll.
Hier fand
er zum ersten Mal Hinweise über den Vorgang des Mälzens. Zuerst war er enttäuscht,
als er erkannte, dass nicht Bruder Thomas das Mälzen erfunden hatte. Dann sah er
ein, dass die Erkenntnis einer guten Erfindung und der Nutzen derselben genauso
wichtig sind wie die Erfindung an sich. Dennoch beschloss er, dass auch er der Gemeinschaft
der Brauer noch die eine oder andere Erfindung schenken wolle.
Ekkehard
verwies bei allen Beschreibungen immer gerne auf alte antike Quellen, die offiziell
sogar als Ketzerschriften verboten waren, zumindest teilweise. Er kannte die Naturgeschichte
von Plinius, in der im Detail vom Mälzen geschrieben wurde. Plinius hatte im ersten
Jahrhundert nach Christus, als Erster überhaupt, etwas über den Hopfen geschrieben.
Er nannte die Pflanze ›Lupum salictarium‹.
»Lupus,
der Wolf und Salix, die Weide? Warum?«, fragte sich Niklas.
Plinius
lieferte auch die Erklärung: Weil die Pflanze wie ein Wolf die Weide anfällt und
bewächst. Nach Plinius’ Meinung taugte sie nur zum Essen, dann aber als Delikatesse.
Die Werke
von Zosymos von Panapolis beschrieben den Mälzungsprozess der alten Ägypter. Weiter
gab es die Schriften von Orosius, der den Stand des Mälzens und Brauens im sechsten
Jahrhundert festgehalten hatte.
Ekkehard
erwähnte sie alle und stellte die Entwicklung bis zum elften Jahrhundert für Niklas
und Albert sehr anschaulich dar.
Schließlich
fanden sie sogar noch eine Notiz über einen Araber-Arzt. Bücher von Heiden wurden
gewöhnlich unter Verschluss gehalten, diese Notiz war im Buch von Ekkehard eingeklemmt.
Nach diesem Mesue dem Jüngeren reinigte Hopfen das Blut, wie dann später fast überall
zu lesen war. Außerdem vertreibe er die Gelbe Galle. Daneben empfahl er Hopfen bei
Asthma, Leber- und Milzleiden, gegen Fieber und Entzündungen.
Zum ersten
Mal hatte Niklas die Möglichkeit, seine Ideen und Überlegungen jemandem mitzuteilen,
ohne Angst davor zu haben, ausgelacht zu werden.
Albert
war offen für alles, mit einer großen gegenseitigen Ehrlichkeit zerstörten sie auch
manche Idee gleich wieder im Ansatz. Niklas genoss diese Diskussionen sehr und wünschte
sich einfach mehr Zeit, um die wichtigsten Argumente von ihnen beiden niederzuschreiben.
10
Eine der größten Schwierigkeiten in jedem Brauhaus
war die schnelle Kühlung der heißen, flüssigen Bierwürze. Schon die ersten Brauer
hatten bald herausgefunden, dass die Gärung erst losging, wenn die Temperatur weit
abgesunken war.
Wie weit,
wusste niemand so ganz genau, erfahrene Brauer
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