Der Bierzauberer
hoffte, dass sein
Sohn mit der Zeit dem Bier entsagen und sich mehr der Ernsthaftigkeit des Dombaus
widmen würde.
Im Jahre
1296 übergab Arnold dann, nach über 30 Jahren, die Bauleitung an Johannes, der sogleich
die noch unfertige Westfassade des Doms in Angriff nahm.
Johannes
war sich der neuen Verantwortung bewusst, wurde überraschend ruhig und trank weniger
Bier. Dennoch kehrten er, sein Domzimmermann Gerard und sein Schwiegervater, der
Steinmetzmeister Thilman von Salecgin, immer wieder im ›Stern‹ ein, um bei dem einen
oder anderen Bier diverse Probleme des Dombaus zu erörtern.
Dabei
wurde manch fröhlicher Unfug getrieben. Einmal baten Johannes und Gerard Niklas
zum Gespräch und fragten ihn, ob er im Turm des Doms eine Brauerei einrichten wolle.
»Weißt
du, Niklas, wir sind dort auf eine Quelle mit allerfeinstem Wasser gestoßen. Und
es würde sich doch anbieten, dieses Wasser aus einer gewissermaßen heiligen Quelle
zu heiligem Bier zu verarbeiten.«
Niklas
nahm die Frage ernst, er wusste nicht, wie viele Biere die beiden bereits intus
hatten.
»Verträgt
sich denn eine Brauerei mit der Würde des heiligen Domes und der Reliquien der Heiligen
Drei Könige?« Und während er noch unschuldig weiterfragte und nicht bemerkte, wie
er auf den Arm genommen wurde, schütteten sich der Dombaumeister und sein Zimmermann
aus vor Lachen.
Niklas
wurde rot bis über beide Ohren, lachte dann aber mit.
Da Johannes, seine Meister
und seine Dombautruppe in der ganzen Stadt bekannt waren, mehrten diese Treffen
ebenso Niklas’ Ruhm als Bierbrauer.
Die Baustelle
lief, auch dank regelmäßiger Bierlieferungen vom ›Stern‹, harmonisch wie seit Jahren
nicht. Die in diesen Jahren entstandenen Meisterwerke des Chorgestühls und des Hochaltars
wurden von Spöttern auf der Straße zu einem reichlichen Teil dem Gerstensaft aus
dem ›Brauhaus zum Stern‹ gutgeschrieben.
Maria
hatte sich zwischenzeitlich mit Mechthildis, der Frau von Johannes und Tochter von
Thilman, angefreundet.
Doch der nächste Rückschlag
ließ nicht lange auf sich warten: Im Herbst 1296 erkrankte Agnes Maria schwer. Sie
war zu einem hübschen Mädchen aufgeblüht und Niklas hatte gehofft, sie bald verheiraten
zu können, vielleicht sogar mit einem anderen Kölner Brauherrn. Agnes hatte sowohl
in der Brauerei bei leichten Arbeiten als auch im Ausschank kräftig mitgeholfen
und war auf dem Weg, eine Stütze des Geschäfts zu werden. Aber nicht nur deswegen
wollte Niklas sie um keinen Preis verlieren.
Der Medicus,
den Niklas konsultierte, stellte Blattern fest. Die Blattern waren eine Pockenkrankheit,
die fast genauso gefürchtet war wie die Pest. Auch sie verlief häufig tödlich. Der
Medicus verschrieb ihr ›Theriak‹, eine Mischung aus Opiaten aus der Mohnblume, Schlangengift
und Krötenpulver. Niklas ergänzte diese Kur mit einem hellen, fruchtig-bitteren
Bier, das er speziell für diesen Zweck braute.
Trotz
dieser Medizin geschah das Wunder: Agnes Maria überlebte die Blattern, war aber
fortan von hässlichen Narben im Gesicht gezeichnet. Außerdem hatte ihr Gehör Schaden
erlitten und durch eine Lähmung zog sie seitdem den linken Fuß nach. Dadurch war
es unmöglich geworden, sie jetzt noch standesgemäß zu verheiraten.
Niklas
raufte sich die Haare, er und Maria verfluchten die Krankheit und das Schicksal,
das ihnen ihre einzige Tochter verunstaltet hatte.
Dennoch
wollte Niklas ihr ein gutes Leben ermöglichen. Agnes war nach der Krankheit in Trübseligkeit
verfallen, hatte ihre Freundinnen gebeten, sie in Ruhe zu lassen und verließ das
Haus nicht mehr.
Niklas
beriet sich mit Maria, was mit Agnes geschehen sollte. Das übliche Vorgehen in solchen
Fällen war die Übersiedelung in ein Kloster. Niklas hörte sich um. Ein Kaufmann,
den er über Küpper kennengelernt hatte und der auf den seltsamen Namen Eskerich
Strötgen hörte, reiste viel nach Norddeutschland und empfahl ihm das Kloster Ebstorf.
Das Kloster
Ebstorf lag eine Tagereise südlich von Lüneburg. Es gehörte zu einer Gruppe von
Benediktinerinnenklöstern in Norddeutschland. Hierzu zählten weiterhin die Klöster
Wienhausen bei Celle, Lüne in Lüneburg, Medingen bei Lüneburg und Preetz in Holstein.
Um 1160 war das Kloster Ebstorf als Prämonstratenserstift mit Mauritius als Klosterpatron
gegründet worden. Später hatten dann Benediktinerinnen aus Walsrode das Kloster
übernommen. Eskerich kannte die Priorin Magthildis, mit der er gelegentlich
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