Der Bierzauberer
treiben.
Sogar
die Kirche hatte sich inzwischen angeschlossen. Hatte noch vor gar nicht so langer
Zeit der Bischof von Köln den Fastabend als heidnisches und teuflisches Treiben
angeprangert, setzte sich auch der Klerus mittlerweile die Narrenkappe auf. In allen
Kirchen Kölns wurde immer am sechsten Januar, dem Tag der Epiphanie, von der niederen
Geistlichkeit ein ›Narrenpapst‹ oder ›Narrenbischof‹ gewählt, gewissermaßen als
Vorgriff auf die baldige Fastenzeit. Diesen ließ man zum Gaudium der Bevölkerung
auf einem Esel in die Kirche reiten. Dann folgte ein Gottesdienst mit einem Lobgesang
auf den Esel. Und nach dem Gottesdienst gingen alle in die Schenken, um dem Narrenpapst
kräftig einzuschenken.
Die religiösen
Bruderschaften von Köln hielten sich mehr an die österliche Fastenzeit und veranstalteten
am Fastabend immer eine Prozession durch die Hohe Straße. Manchmal trugen sie Frauenkleider,
sehr zum Ärger der Kirchenoberen, aber umso mehr zur Erheiterung der Kölner. Auch
dort wurde nach der Prozession schon mal ein kräftiger Vorschuss auf das Fastenbier
eingeholt.
An diesem Fastabend des Jahres
1303 platzte das ›Brauhaus zum Stern‹ buchstäblich aus allen Nähten.
Traditionell
wurde am Fastabend ein Fastenspiel veranstaltet. Alle durften mitmachen, die geladenen
Spielleute genauso wie die Gäste. Bei einer Mischung aus Tanz, Gesang und Schauspielen
amüsierten sich alle königlich. Ein jeder durfte seinen Wünschen und Begierden freien
Lauf lassen. Es ging obszön und deftig zu. Es wurde gefressen und gesoffen bis zum
Erbrechen, es wurde gelacht und gesungen bis zur Heiserkeit.
Das erste
Schauspiel parodierte eine Gerichtsverhandlung, bei der die Richerzeche nicht gut
wegkam. Die Schauspieler imitierten die führenden Kölner Köpfe derart gekonnt, gleichzeitig
aber in einer unflätigen Bauernsprache, dass die Gäste vor Lachen brüllten.
Es folgte
ein Tanzreigen einiger sogenannter ›Jungfrauen‹.
Die Stimmung
drehte ins Lüsterne.
»Wenn
das Jungfrauen sind, bin ich ein Eunuch!«, schrie ein Gast, der sich dann am meisten
über seinen eigenen Witz amüsierte.
Das nächste
Schauspiel behandelte die Eheprobleme eines bekannten Kölner Bürgers. Wieder brüllendes
Gelächter. Als in der Handlung dann der nicht sonderlich hochgeschätzte, schon alte
und senile Erzbischof Wigbold von Holte auftrat, um dem Paar mit Rat und Tat zur
Seite zu stehen, kannte die Heiterkeit keine Grenzen mehr.
Denn der
Erzbischof verlangte viel Geld dafür, dem Paar bei seinen Eheproblemen zu helfen.
»Wie da
der Bock zum Gärtner wird!«, rief einer laut und wischte sich die Tränen aus den
Augen.
»Wigbold,
du Witzbold, du alter Mann, wie wollt Ihr wissen, was Leidenschaft ist?«, meldete
sich ein anderer.
»Aber
Hauptsache, die Kasse klingelt!«
Der Bischof
machte noch einige Anmerkungen über die Ämter, die er nebenbei dem Ehemann bei Zahlung
größerer Summen zuschanzen könnte. Dann trat der Ehemann im Büßergewand auf, und
der alte Erzbischof verwandelte sich auf der Bühne in einen jungen, geilen Mönch.
Das Publikum
tobte.
Als am
Ende die Schauspieler wenig subtil andeuteten, dass der Mönch mit der Ehefrau Unzucht
pflege, um die Eheprobleme genau zu erforschen, gab es kein Halten mehr.
Das Bier
floss in Strömen, das Fastenspiel war vorbei.
Der Lärm blieb weiterhin ohrenbetäubend.
Geschrei vermischt mit Gesang und dem lallenden Gegröle derer, die schon zu viel
Fastenbier genossen hatten. Die Schauspieler wurden gepriesen, besungen und fleißig
mit Bier abgefüllt.
Die Würfel
rollten, es wurde getanzt und geschäkert.
Und mittendrin
stand Niklas und versuchte, einen klaren Kopf zu behalten.
»Hierher,
diese Krüge!«, schrie er in Richtung eines seiner Schankburschen und zeigte auf
einen Tisch in der Ecke.
»Und du,
bring deine Ladung dorthin!«, wies er einen anderen in die Gegenrichtung.
Über die
Hälfte seiner Gäste war maskiert. Als Bauer, Teufel oder altes Weib, als Pfaffe
oder mit Pferdekopf, sogar als Gevatter Tod waren sie gekommen. Ein paar Söldner
waren auch anwesend. Sie prahlten mit ihren Kriegserlebnissen, waren sie doch gerade
mit den Flamen siegreich aus der ›Sporenschlacht von Courtai‹ gegen die Franzosen
hervorgegangen. Sie fanden es lustig, sich mit gelben Schleifen an den Schuhen und
Röcken als Prostituierte auszugeben.
Die Luft
war geschwängert mit Bierdunst, Essensgeruch, Urin und Schweiß. Erstaunlicherweise
schien es aber niemanden zu
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