Der Bilderwächter (German Edition)
den Kopf. » Thorsten Uhland. Ich hatte bei unserem letzten Gespräch gestern Mittag den Eindruck, dass er vor etwas Angst hatte.«
Birger horchte auf.
» Ich kann dir nichts weiter dazu sagen. Es war … ein Gefühl.«
Birger gehörte zu den Kollegen, die sich nicht scheuten, neben der Vernunft auch ihrem Instinkt zu vertrauen. Aus diesem Grund hatte Bert immer gern mit ihm gearbeitet. Das würden sie jetzt wieder tun, weil ihre Fälle zusammenhingen.
» Lass uns später weiterreden«, sagte Birger. » Zunächst einmal habe ich jede Menge Fragen an Jette Weingärtner. Vor allem eines interessiert mich: Woher hatte sie ihre Informationen?«
Ja, dachte Bert. Und was weiß sie darüber hinaus?
» Ihr begleitet mich?«
» Selbstverständlich.«
Bert gab Rick ein Zeichen, und bald darauf fuhren sie hinter den Rücklichtern von Birgers Wagen her.
Die Nacht war schwarz und still.
Wie ein großer dunkler See, dachte Bert.
Thorsten Uhlands Tod hatte keine sichtbaren Spuren auf der Oberfläche hinterlassen. Um sie zu finden, mussten sie tief hinabtauchen. Möglicherweise bis auf den Grund.
*
Es gibt keine einsamere Zeit als die zweite Hälfte der Nacht. Das hatte ich immer empfunden, und ich fühlte es jetzt wieder, obwohl wir alle in der Küche versammelt waren. Auch Luke hatte es sich nicht nehmen lassen, uns beizustehen, und sogar Claudio, dessen Pizzaservice bis Mitternacht lieferte, war nach der Arbeit noch einmal wiedergekommen.
» Die Familie muss zusammenhalten«, sagt meine Großmutter immer.
Daran dachte ich jetzt, und mir fiel auf, dass meine Freunde längst meine Familie waren.
Anfangs hatten wir noch geredet, doch nun hatten wir uns in unsere Gedanken zurückgezogen, jeder für sich. Immer noch im Schockzustand, warteten wir auf das, was da kommen mochte.
Dann hoben die Katzen den Kopf, und kurz darauf hörten wir Motorengeräusche und wie Autotüren zugeschlagen wurden.
Es klingelte.
Ich machte auf und stand drei Männern gegenüber.
» Hauptkommissar Birger Jannek. Guten Abend. Jette Weingärtner?«
» Ja.«
» Das sind meine Kollegen Bert Melzig und Rick Holterbach von der Kripo Köln. Herrn Melzig kennen Sie ja bereits.«
Ich war so erleichtert, den Kommissar zu sehen, dass ich keine Worte fand. Ich machte einfach die Tür weit auf und führte sie in die Küche.
» Da sind ja alle beisammen«, sagte der Kommissar und lächelte in die Runde, als er die übernächtigten Gesichter sah.
Mike rückte zwei zusätzliche Stühle an den Tisch. Merle bot Kaffee an. Ich stand den andern und mir selbst im Weg.
Schließlich hielt ich es nicht länger aus. Konnte nicht warten, bis einer der Männer das Wort an uns richtete. Wollte nicht über Thorsten Uhland reden und nichts erklären.
Ich sah dem Kommissar in die Augen. Und beantwortete seine noch nicht ausgesprochene Frage.
» Ilka ist verschwunden«, sagte ich.
Ein leiser Ton holte Marten aus dem Schlaf. Er horchte in die Dunkelheit. Als sich das Geräusch nicht wiederholte, drehte er sich auf die andere Seite und überließ sich seiner Müdigkeit.
Fast war er wieder eingeschlafen, als er aufschreckte. Diesmal war er sich sicher. Es hatte an der Tür geläutet.
Susan.
Stöhnend zog er sich die Decke über den Kopf, doch er brachte es nicht fertig, die Tatsache zu ignorieren, dass Susan mitten in der Nacht vor dem Haus stand, weil sie nicht klarkam mit dem, was er ihr angetan hatte.
Schlaftrunken kroch er aus dem Bett, sammelte auf dem Weg zur Wohnungstür die auf dem Boden verstreuten Klamotten auf und schlüpfte im Laufen hinein. Auf Socken trat er in das eiskalte Treppenhaus hinaus und drückte auf den Lichtschalter, damit Susan an den erleuchteten Flurfenstern erkennen konnte, dass er unterwegs war zu ihr.
Und damit sie aufhörte zu klingeln.
Sie musste ja nicht das ganze Haus aufwecken.
Während er fast lautlos die Treppe hinunterstieg, überlegte er, wie er sich verhalten sollte. Er konnte Susan unmöglich über Nacht bei sich behalten, durfte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Er konnte sie aber auch nicht wieder hinauswerfen und sich selbst überlassen.
Wer wusste schon, zu welcher Kurzschlusshandlung sie in ihrer angeschlagenen Gemütsverfassung fähig war?
Innerlich fluchend und sich selbst beschimpfend, steckte er den Schlüssel ins Schloss der Haustür und machte auf.
Vor ihm stand Ilka.
Sie zitterte vor Kälte.
*
» Wie bitte?«, fragte Bert. » Verschwunden? Seit wann?«
» Das wissen wir nicht genau«,
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