Der Bilderwächter (German Edition)
wieder sinken. » Wer würde denn von Ilkas Tod profitieren?«
» Ihre Mutter«, sagte Mike.
» Und da Ilkas Mutter in diesem Heim für psychisch Kranke untergebracht ist, wird ihr Vermögen von jemand anderem verwaltet«, überlegte Merle.
» Sie denken an Ilkas Onkel?«, fragte der Kommissar.
Ihr Onkel?
» Niemals. Er ist immer für sie da, wenn sie ihn braucht. Ilka hat absolutes Vertrauen zu ihm. Und ich auch«, fügte ich hinzu. » Außerdem verdient er als Banker genug. Er hat es nicht nötig, sich das Geld seiner Nichte unter den Nagel zu reißen.«
» Rubens Bilder sind Millionen wert«, sagte Merle. » Da sind schon ganz andere Leute schwach geworden.«
Worüber unterhielten wir uns da? Das Gespräch erschien mir absolut irreal. Wir verloren Ilka völlig aus den Augen.
» Wir müssen Ilka finden«, sagte ich. » Bevor es der Mörder tut.«
Oder sie sich selbst tötet.
Voller Grauen dachte ich an Ilkas Worte:
Lieber bring ich mich um.
» Wir?« Der Kommissar zog eine Augenbraue hoch.
Ich wusste, welche Antwort er von mir erwartete, aber ich hatte keine Lust, ihm den Gefallen zu tun. Trotzig erwiderte ich seinen Blick.
» Sie hören sofort auf, Sherlock Holmes zu spielen«, verlangte er und beendete damit energisch unsere Spekulationen. » Wenn Sie uns etwas mitzuteilen haben, können Sie sich jederzeit an Kommissar Jannek wenden. Sie dürfen auch gern mich anrufen. Ansonsten halten Sie sich zurück.«
» Es wäre schön, wenn Sie uns ein Foto Ihrer Freundin zur Verfügung stellen könnten«, meldete sich Kommissar Jannek zu Wort.
Mike ging hinaus und kehrte eine Minute später mit einem Foto zurück. Er musste es bereits zurechtgelegt haben. Auf dem Foto schaute Ilka mit einem gelösten Lächeln in die Kamera.
Nichts deutete darauf hin, dass ein weiterer Albtraum auf sie wartete.
Der Kommissar schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Seine Kollegen taten es ihm nach.
» Fragen Sie in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis nach Ilka«, sagte er. » Alles andere überlassen Sie uns. Haben Sie mich verstanden? «
Ich nickte.
Der Kommissar blickte in die Runde.
Die andern nickten auch.
Beim Abschied hielt er meine Hand ein bisschen länger fest und sah mir eindringlich in die Augen. » Ich verlasse mich darauf, Jette.«
Dann findet sie schnell, dachte ich und kreuzte hinter dem Rücken Zeige- und Mittelfinger.
*
Emilia hielt sich die Hand vor den Mund, um das aberwitzige Kichern im Keim zu ersticken. Sie konnte nicht anders, wenn sie so aufgeregt war wie in diesem Moment. Es war mitten in der Nacht, und sie hatten Polizisten zu Besuch.
Die Männer hatten die Nachricht schonend überbracht. So schonend, wie es eben möglich war, jemandem mitzuteilen, dass ein Mord geschehen war.
Hortense saß in ihrem Sessel wie ein Zinnsoldat. Mord und Totschlag passten nicht in ihre Weltanschauung. Sie hielt solche Dinge von sich fern, las keine Krimis und schaute sich nie welche im Fernsehen an.
Aber manchmal kamen die Ängste, vor denen man sich zu schützen versuchte, ganz von allein ins Haus.
» Ist Ihnen gestern Abend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, fragte Kommissar Melzig.
Was meinte er damit?
Am liebsten hätte Emilia nachgefragt, doch dann hätte sie sprechen müssen, und das hätte den Panzer ihrer Selbstbeherrschung reißen lassen. Sie hätte angefangen zu lachen, Hortense wäre böse geworden, alle hätten sie angestarrt, und das hätte sie nicht ertragen.
Als Kind hatte sie sich unsichtbar machen können. Sie hatte die Luft angehalten und war unsichtbar geworden. Die Eltern waren ganz dicht an ihr vorbeigelaufen, ohne sie zu sehen.
» Emilia!«, hatten sie gerufen. » Emilia! Wo hast du dich denn versteckt?«
Und einmal hatte die Großmutter zum Großvater gesagt: » Ich fürchte, wir haben unsere liebe kleine Emilia verloren. Hoffentlich ist ihr nichts Schlimmes zugestoßen.«
Da hatte Emilia sich ganz schnell wieder sichtbar gemacht, und den Großeltern war ein Stein vom Herzen gefallen.
Nur Hortense, die alte Spielverderberin, hatte sie immer gesehen.
» Nein«, sagte Hortense, » bedaure. Der Abend lief ab wie immer, und bis zu Ihrer Ankunft habe ich fest geschlafen.«
Lügnerin, dachte Emilia. Du schläfst doch nie in der Nacht, bist immerzu wach und gespensterst im Haus herum. Ihr Blick begegnete dem von Kommissar Melzig.
Wie der Blick des Vaters früher, schien er alles zu wissen. Emilia hasste solche Blicke. Auch Hortense schaute manchmal so.
» Und Sie?«, fragte
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